Was die globalen Protestbewegungen bewirken können und welche Herausforderungen sie mit sich bringen
Der Protest gegen den menschengemachten Klimawandel nimmt an Fahrt auf. Die „Fridays for Future“-Bewegung lockt weltweit Woche für Woche abertausende Schüler*Innen auf die Straße, die gegen die fortschreitende Zerstörung von Klima und Ökosystem demonstrieren. Begonnen hat alles mit der 16-jährigen schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die freitags nicht mehr zur Schule ging, um für eine wirkungsvollere Klimapolitik zu demonstrieren. Ihr folgen mittlerweile immer mehr Jugendliche, die regelmäßig freitags oder zu größeren Demonstrationen den Schulunterricht boykottieren. Am 15. März 2018 waren es laut Angaben der Bewegung sogar weltweit fast 1,8 Millionen Jugendliche und andere Unterstützer*Innen, die für ein Umdenken in der Klimapolitik demonstriert haben.
Die Forderung an die politisch Verantwortlichen lautet Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen, damit die Zukunft der Jugend von heute und morgen nicht durch eine vom Menschen verursachte Klimakatastrophe zerstört wird. Konkret wird der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, die Intensivierung der Nutzung erneuerbarer Energien und der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs gefordert. Außerdem soll das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden, um die Partizipationsmöglichkeiten junger Menschen zu verbessern. Die Protestbewegung hat dabei in ihren Forderungen weitreichende Unterstützung erfahren, am prominentesten durch „Scientists for Future“. Dieser Zusammenschluss von mehreren Zehntausenden Wissenschaftler*Innen teilt die Wahrnehmung des Klimawandels als Bedrohung für zukünftige Generationen und bekräftigt die Dringlichkeit der Forderung der Schüler*Innen.
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Fridays for Future hat weitreichende Unterstützung erfahren, darunter von der Filmagentur forStory, die sie mit diesem Video unterstützen. (c) forStory
Gesetzesverstöße aus moralischen Gründen
Die Proteste der Jugendlichen während der Unterrichtszeit stellen eine Verletzung der Schulpflicht dar – eine Ordnungswidrigkeit, die bewusst begangen wird, um zu zeigen, dass man nicht für eine Zukunft lernen müsse, die nicht weiter lebenswert sei. Die Demonstrationen stellen damit eine Form des zivilen Ungehorsams dar, bei dem aus moralischen Gründen bewusst gegen rechtliche Normen verstoßen wird. Durch diesen Gesetzesbruch wird Aufmerksamkeit auf einen als größeres Unrecht wahrgenommen Missstand gelenkt und Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung ausgeübt. Ein Schritt, der den Macher*Innen der Fridays for Future-Bewegung durchaus geglückt ist und reichlich Wirbel in den Medien erzeugt hat. Und damit auch andere zu Aktionen motiviert hat: Im Herbst 2018 hat sich in London die Gruppierung „Extinction Rebellion“ gegründet, was so viel wie „Rebellion gegen das Aussterben“ bedeutet. Die Gruppe teilt mit Fridays for Future die Wahrnehmung des Klimawandels als akute Bedrohung, geht aber in ihren Forderungen noch weiter: Die Regierungen sollen die Wahrheit über die akute Bedrohung durch die Klimakrise kommunizieren und Gesetze erlassen, durch die bis 2025 die Netto-Emissionen der Treibhausgase auf null gesenkt werden. Überwacht werden soll dies von einer Bürgerversammlung. Und auch in ihren Maßnahmen ist die Gruppe deutlich radikaler: Neben Trauermärschen und Theaterflashmobs setzt die Gruppe, insbesondere in London, auf Blockaden von Brücken, Straßen und anderen wichtigen Verkehrsknotenpunkten. Unbedingt friedlich und gewaltlos sollen diese ablaufen, aber eine Verhaftung wird nicht nur in Kauf genommen, sondern ist für manche Teilnehmer*Innen sogar Ziel des Protests: Bei Blockaden an Ostern 2019 wurden von der Polizei in London mehr als 600 Aktivist*Innen in Gewahrsam genommen. Denn sie nehmen die Lage als so ernst wahr, dass sie bereit sind, ins Gefängnis zu gehen um für ihre Sache Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das Kalkül dahinter: Wenn genügend normale, unbescholtene Bürger bereit sind, für ihre Überzeugungen hinter Gitter zu gehen, können sie von den Medien, der Politik und der breiten Öffentlichkeit nicht länger ignoriert werden.
Die Zivilgesellschaft als Taktgeber moralischer Revolutionen
Natürlich stellt sich die Frage, was diese Aktionen, die von manchen als aufopferungsvoll und von anderen als naiv bezeichnet werden, wirklich bewirken können. In erster Linie schaffen sie Aufmerksamkeit und ein Bewusstsein für das Thema, was bei einer steigenden Anzahl von Menschen zu einem Umdenken führen kann – und schließlich zu einer Revolution. Zu einer moralischen Revolution wohlgemerkt, einer fundamentalen Erweiterung und institutionelle Verankerung eines neuen Wertebildes in der Weltgemeinschaft. Was vorher über sehr lange Zeit gesellschaftlich akzeptiert oder ignoriert wurde, in diesem Fall das tatenlose Zusehen bei der Zerstörung des Klimas, kann dann innerhalb kurzer Zeit international geächtet werden. Dies kann dann einen Wandel in politischen Institutionen, der Wirtschaft und in Technologien mit sich bringen. Und das kann dann auch tatsächlich wirkungsvollen Klimaschutz bieten.
Dass der moralische Kompass so schnell eine andere Richtung einschlägt, klingt erstmal ziemlich utopisch. Doch andere moralische Revolutionen, wie zum Beispiel die Einführung des Frauenwahlrechts, die Abschaffung der Sklaverei oder die Einführung der Demokratie zeigen, dass innerhalb der Zeitspanne von nur kurzer Zeit ein Umdenken von weiten Teilen der Weltgemeinschaft möglich ist.
Die Proteste und Demonstrationen haben also tatsächlich Potential, andere moralische Verhaltensmuster hervorzubringen und so neue gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Werte und Normen zu prägen, die vielleicht wirklich etwas gegen den Klimawandel ausrichten können.
Leben oder Überleben?
Doch der Blick auf die anderen moralischen Revolutionen zeigt auch, dass damit oft nur ein Teil des Problems gelöst wird: Nur weil in vielen Staaten der Erde Frauen wählen dürfen, kann noch lange nicht von echter Geschlechtergerechtigkeit gesprochen werden und nur weil die Sklaverei offiziell verboten ist, heißt das nicht, dass Ausbeutung und menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse der Vergangenheit angehören.
So verhält es sich auch beim Klimaschutz. Ja, er mag das drängendste Problem sein und ja, es geht ums Überleben. Ein radikales Umsteuern in der Klimapolitik ist erforderlich, um die Zukunft der Menschheit zu sichern. Aber wir stehen vor der Herausforderung, nicht nur das Überleben zu sichern, sondern auch gegenwärtigen Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Und das besteht eben nicht nur aus dem bloßen Überleben einer Klimakatastrophe, sondern sollte auch Entfaltungs- und Entwicklungschancen für ein gleichberechtigtes Leben beinhalten.
Die Herausforderung des Klimawandels ist damit im Kern kein rein ökologisches Problem, sondern auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. So sollte nicht bloß die Frage im Zentrum stehen, was wir ändern müssen, damit die Menschheit eine Zukunft hat, sondern wir müssen auch die Frage stellen, wie eine Gesellschaft aussehen soll, in der jeder Mensch, egal ob er oder sie hier oder in einem anderen Staat geboren wird, heute oder in hundert Jahren, dieselben Rechte auf ein würdevolles Leben hat. Die aktuellen Proteste haben die Möglichkeit, ein Umdenken anzustoßen und wichtige Schritte gegen eine menschengemachte Klimakatastrophe zu unternehmen. Aber es ist auch wichtig, die Frage sozialer Gerechtigkeit in diesem Zuge miteinzubringen.
(c) Bild Extinction Rebellion: Julia Hawkins
(c) Video Fridays for Future: forStory