Das Fairtrade-Siegel: Kann man den Ansprüchen an wirtschaftliches Wachstum, Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit im landwirtschaftlichen Anbau genügen?
Nachhaltiger Konsum liegt im Trend – auch auf Instagram muss man sich mit den entsprechenden Follower*innen schnell mal für den Avocado-Konsum rechtfertigen. Während zunehmend viele Konsument*innen Aspekte wie Regionalität, Saisonalität und den Einsatz von Pestiziden im Blick haben, wird die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit im Anbau nicht mehr ganz so oft gestellt. Weltläden wirken heutzutage etwas folkloristisch und passen damit nicht ganz zum hip-minimalistischen Zeitgeist.
Dabei werden Fairtrade-Produkte, die man inzwischen außer in den Weltläden auch in unterschiedlichsten Supermärkten findet, noch immer stark befürwortet: In einer Studie des Magazins Utopia gaben 81 Prozent der Befragten an, dem Fairtrade-Siegel zu vertrauen. Laut dem Netzwerk Forum Fairer Handel stammt heute jede zwanzigste Tasse Kaffee in Deutschland aus fairem Handel und 14 Prozent der in Deutschland verkauften Bananen sind schon Fair-Trade-Produkte. Zu Fairtrade-zertifizierten Produkten zählen im Bereich der Lebensmittel Kaffee, Bananen oder Kakao – also Produkte, die aus dem außereuropäischen Ausland bezogen werden können, aber auch Gewürze, Milch oder Schnittblumen.
Was steckt hinter der Zertifizierung?
Kleinbäuer*innen in Entwicklungsländern sind aufgrund mangelnder Infrastruktur, geringen Absatzmengen und fehlendem Zugang zu Informationen über das Marktgeschehen größtenteils vom Welthandel ausgeschlossen. Um die Produkte überhaupt verkaufen zu können, müssen sie sich oft in ein Abhängigkeitsverhältnis von Zwischenhändler*innen, die mitunter die einzige Informationsquelle über beispielsweise den Marktpreis sind, begeben.
Die Grundidee beim Fairen Handel ist also die Etablierung von Produzent*innen als gleichberechtigte Akteur*innen im Welthandel. Die Importorganisationen sind somit für die Einhaltung der Standards sowie die Organisation vom Import in die Konsumentenländer verantwortlich
Das Konzept des fairen Handels orientiert sich am Modell der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie – demErhalt von Natur beziehungsweise Ökosystemen für nachfolgende Generationen, Ökonomie – dem verantwortungsvollen Umgang mit wirtschaftlichen Ressourcen mit dem Ziel der Wohlstandsmehrung und Soziales – der Entwicklung einer Gesellschaft, in der alle Mitglieder gleichermaßen partizipieren. Um die Erfüllung dieser Prinzipien zu garantieren, gibt es bestimmte Richtlinien wie beispielsweise die Festsetzung eines Mindestpreises für die Produkte oder das Einhalten von festgelegten Umweltstandards. An diese Richtlinien müssen sich Produzent*innen und Vertreiber*innen, also die Importorganisationen, halten, um das Fair-Trade-Siegel erhalten zu können.
Der Zusammenschluss von Kleinbäuer*innen in Kooperativen führt zu mehr Selbstbestimmung und einer erleichterten Organisation ihrer Arbeit. Somit können die Handelsbeziehungen mit den Importorganisationen in den Kooperativen, an denen alle Produzenten mit beteiligt sind, organisiert werden. Der höhere Erlös durch faire Löhne, die den Lebenshaltungskosten der Produzenten entsprechen sollen, wird etwain den Bau von Schulen investiert. Damit kann ein Mehrwert für die ganze Gesellschaft, in der die Produzenten leben, geschaffen werden. Außerdem fördert der Zusammenschluss in Kooperativen die Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Wichtig ist hierbei, dass die fairen Arbeitsbedingungen und Löhne nicht nur für die Produzent*innen, etwa für den oder die Betreiber*in einer Plantage, sondern auch für dessen Arbeiter*innen geltend gemacht werden müssen. „Faire“ Arbeitsbedingungen begründen sich allgemein auf die international festgelegten Menschenrechte der Vereinten Nationen und die Kernarbeitsnormen nach den ILO-Standards. Damit ist beispielsweise Kinderarbeit und Zwangsarbeit ausgeschlossen.
Wie stehts mit der ökologischen Nachhaltigkeit?
Die Fairtrade-Produktion stellt die Bedürfnisse der Produzent*innen zuerst über ökologische Grundsätze. Trotzdem wird besonders in der jüngsten Entwicklung die Rolle von nachhaltiger Entwicklung immer wieder betont: Diese kann nur aus fairen Arbeitsbedingungen für die Produzent*innen entstehen, die dann dementsprechend nachhaltig mit dem Kapital Umwelt umgehen. Eine weitere Argumentation ist dabei, dass Menschen, die einen gesicherten Lebensunterhalt haben, das Recht auf einelebenswerte Umwelt verteidigen, um diese zu erhalten.
Für die Fairtrade-Zertifizierung müssen Produzent*innen bestimmte Auflagen erfüllen, dabei sind auch ökologische Standards festgelegt. Die Bewahrung von Biodiversität und der Schutz von Ökosystemen soll unter anderem durch die Reduktion des Einsatzes von Pestiziden und durch Maßnahmen zum Schutze der Fruchtbarkeit der Böden sichergestellt werden. Dafür gibt es von Fairtrade International auch Empfehlungen, etwa zur Kompostierung oder zum Zwischenfruchtbau. Ein entscheidender Aspekt für die Verbesserung umweltgerechter Anbaumethoden ist nach einer Untersuchung zum Kaffeeanbau in Ruanda dabei der Zusammenschluss in Kooperativen.
Bei einer Untersuchung von Anbaupraktiken von Kaffeebäuer*innen in Ruanda war exemplarisch festzustellen, dass nahezu alle Farmer*innen unabhängig davon, ob sie eigenständig, in einer Kooperative und/oder Fairtrade-zertifiziert anbauen, Pestizide verwenden. Dies ist in dem Fall aber auf die Subventionierungen der Regierung auf Pestizide zurückzuführen. Auch chemische Düngemittel wurden aus denselben Gründen vom Großteil der Befragten verwendet. Eine der Fairtrade-Kooperativen hatte dabei aber als einzige die Menge von chemischen Düngemittel bereits deutlich reduziert, um auf biologische Produktion umzusteigen. Eine positive Auswirkung von Fairtrade-zertifizierten Kooperativen ist hingegen auf den Waldfeldbau, also die Kombination von Kaffeepflanzen und Bäumen, zu bemerken. Durch das Angebot von Bildungsmöglichkeiten wie Workshops und Trainings konnte die Anzahl von Kleinbäuer*innen, die Waldfeldbau für die Verbesserung der Fruchtbarkeit von Böden verwenden, deutlich erhöht werden.
Es ist also grundsätzlich gut, dass Fairtrade-Produkte fast überall zu finden sind, oder?
Um eine stetige Absatzmenge beizubehalten, wurde nach 1980 die Etablierung eines Fairtrade-Labels nach Vorbild des Biosiegels angestrebt, um den Verkauf im konventionellen Handel zu erleichtern. So wurde die Nachfrage der Kund*innen essentiell für die Auswahl der Produkte. Durch die nun erreichte Anbindung an den konventionellen Markt stieg die Anzahl der beteiligten Akteur*innen bedeutend. Die Erschließung des kommerziellen Marktes führte auch zu einer Einbeziehung von konventionellen Unternehmen statt des zuvor ausschließlichen Verkaufs über eigene Weltläden.
Zu Anfang der Fairtrade-Bewegung war aber nicht die ökonomische Marktdominanz, sondern die Standardisierung von Fairtrade-Prinzipien im allgemeinen Welthandel das erklärte Ziel. Der Transport dieser Information geht durch das unreflektierte Einkaufen im Supermarkt, im Gegensatz zum Weltladen, verloren. So landet die Fairtrade-Schokolade sicher auch mal neben einer Schokocreme, die nicht ganz frei von Kinderarbeit scheint. Gerade weil Fairtrade-Produkte immer beliebter werden, steht die Einhaltung von Richtlinien durch die erhöhte Anzahl von beteiligten Akteur*innen und Interessensgruppen vor einer Probe. Für die wachsende Zahl an bewussten Konsument*innen ist es wichtig, einer nachhaltigen, fairen, integren Entwicklung weiterhin beim Einkauf vertrauen zu können. Eine mögliche Lösung wäre dafür verstärkte Kampagnen- und Informationsarbeit. Nach wie vor wäre aber langfristig eine Implementierung der Fairtrade-Grundsätze in einem kollektiven Ansatz, also beispielsweise durch nationale Regulierungen und die Einhaltung von Verboten wie Kinder- oder Zwangsarbeit sowie angemessene Vergütung, wünschenswert.
Damit würden politische Forderungen und eine Etablierung von fairerem Welthandel mehr Gewicht erhalten. So bleibt die Möglichkeit eines internationalen Handelssystems ohne globale Ausbeutungslinien vielleicht nicht nur Utopie.
Einen Überblick über Fairtrade-Zertifizierungen findet ihr hier.