Um gegen Ressourcenverschwendung vorzugehen, nehmen sich viele Städte eine Circular Economy zum Vorbild. Doch damit daraus eine vielversprechende Nachhaltigkeitsstrategie werden kann, muss auch die gesellschaftliche Komponente integriert werden.
Die Zukunft der Menschheit wird in Städten liegen: Im Jahr 2008 lebten weltweit zum ersten Mal mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Und dieser Trend setzt sich fort – die Stadtbevölkerung wird sich Prognosen der UN zufolge bis 2050 weltweit von heute knapp 4 Milliarden auf zukünftige 6,5 Milliarden vergrößern. Mehr als zwei Drittel der Menschheit wird dann in Städten wohnen. Am dynamischsten wird diese Verstädterung dabei in den Schwellen- und Entwicklungsländern Afrikas und Asiens verlaufen. In vielen Ländern erfolgt das rasante Wachstum der Städte dabei durch den Zuzug der Landbevölkerung, wobei häufig informelle Siedlungen entstehen und bestehende Slums wachsen. Mit der Einwohnerzahl wächst dadurch auch die soziale Ungleichheit ungehindert.
Städte als Zentren der Take-Make-Waste Ökonomie
Doch bereits heutzutage sind Städte nicht nur Orte sozialer Ungleichheiten, sondern sie tragen auch zu massiven Umweltbelastungen bei und sind mitverantwortlich für das Voranschreiten des Klimawandels. Denn als global beherrschende räumliche Form menschlichen Zusammenlebens sind Städte auch Zentren der Produktion und des Konsums, was sie zu Kristallisationspunkten für die Probleme des linearen kapitalistischen Wirtschaftsmodells macht. Aktuellen Schätzungen zufolge werden in Städten 60 bis 80 Prozent der abgebauten natürlichen Ressourcen verbraucht, 50 Prozent des globalen Müllaufkommens produziert und zwischen 60 und 75 Prozent der weltweiten Treibhausgase ausgestoßen. Städte sind verantwortlich für die Versiegelung großer Flächen, den Verlust von biologischer Diversität und die Anreicherung von langlebigen, menschengemachten Schadstoffen in der Natur, wie zum Beispiel Quecksilber und Plastikrückständen.
Hinzu kommen Verschmutzungen der Atemluft und die Übernutzung und Verunreinigung von Wasserressourcen. Während Städte weltweit weniger als 3 Prozent der Landfläche der Erde bedecken, betreffen diese Effekte weitreichende Regionen. Städte externalisieren dabei bereits seit Jahrhunderten die Deckung ihres Ressourcenbedarfs und die Folgen ihrer Abfallproduktion, indem sie diese an entfernte Orte verlagern. Doch das „ökologische Hinterland“ der Städte umfasst mittlerweile den gesamten Planeten und die Aneignung von Ressourcen und die Verlagerung von Belastungen geschieht global.
Dabei sind Städte keineswegs nur Verursacher von Belastungen, sondern oft auch die Hauptleidtragenden von diesen. Fast 90 Prozent aller Stadtflächen befinden sich in Küstenregionen und sind damit besonders gefährdet für einen Meeresspiegelanstieg und andere durch den Klimawandel ausgelöste oder verstärkte Extremwettereignisse wie Wirbelstürme und Starkregenereignisse. Aber auch Dürren und Hitzewellen treffen Städte besonders hart, da in Städten oft kühlende Grünflächen fehlen und sich Beton und Asphalt ungehindert aufheizt. Die Temperatur in Städten liegt damit oft um mehrere Grad Celsius höher als im Umland und kann bei heißem Wetter zu nicht zu unterschätzenden gesundheitlichen Auswirkungen für die Bevölkerung führen. Immer mehr Städte stellen daher diese Situation angesichts der drohenden Klimarisiken, Umweltverschmutzungen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Versorgungsrisiken zunehmend in Frage.
Das Konzept der Circular Economy
In den letzten Jahren hat das Konzept der „Circular Economy” große Popularität in der Wirtschaftswelt erfahren und dadurch auch Beachtung bei Kommunen gefunden, die versuchen, resiliente Infrastrukturen auf- und internationale, nationale und regionale Abhängigkeiten abzubauen. Die Circular Economy ist dabei ein Entwurf für ein Wirtschaftsmodell, bei dem versucht wird, Produktion und Konsum in Kreisläufe zu überführen und so von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen zu entkoppeln. Sie steht damit im Gegensatz zur gegenwärtigen linearen oder „Take-Make-Waste“ Ökonomie, bei der die wirtschaftliche Aktivität auf Kosten der Umwelt geht. Der Grundgedanke einer in geschlossenen Kreisläufen arbeitenden Wirtschaft ist dabei bereits in den 1960er und 1970er Jahren aufgekommen und wurde in den folgenden Jahrzehnten in Ansätzen in Form einer Recyclingwirtschaft in der deutschen und japanischen Wirtschaft umgesetzt. Eine weitere Entwicklung und Verbreitung der Idee einer Kreislaufwirtschaft geschah aber vor allem angesichts der wachsenden Umweltprobleme und Ressourcenknappheit in den 2010er Jahren.
So wird eine Kreislaufwirtschaft mittlerweile in Schriften des Weltwirtschaftsforums und der EU diskutiert, von Beratungsunternehmen wie McKinsey beworben und international von Politiker*Innen wahrgenommen. Die wirtschaftsnahe Ellen Mac Arthur Foundation hat dabei mit dem RESOLVE-Ansatz einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Ausarbeitung dieses Wirtschaftsmodells geleistet. Dieser basiert auf drei Prinzipien: Der Bewahrung und Wiederherstellung des natürlichen Kapitals, die Optimierung der Ressourcennutzung durch eine hochwertige Kreislaufnutzung und das Ausschalten und Wegdesignen von negativen Externalitäten. Die Umsetzung dieser Prinzipien soll durch sechs konkrete Strategien erfolgen:
- Regenerate: Umstellung auf erneuerbare Energie und Materialien; Regeneration der Ökosysteme und Rückführung der wiedergewonnenen biologischen Ressourcen in die Biosphäre.
- Share: Verlängerung und Intensivierung der Nutzung von Produkten im Kreislauf durch den gemeinsamen Gebrauch durch verschiedene Benutzer.
- Optimise: Erhöhung der Leistung und Effizienz eines Produkts; Beseitigung von Verschwendung in der Produktion und Lieferkette; Nutzung von Big Data
- Loop: Design auf Langlebigkeit und Wiederverwendbarkeit nach Ende der Nutzung, Halten von Komponenten und Materialien in geschlossenen Kreisläufen (Wiederverwendung, Recycling, Rückgewinnung, Wiederaufarbeitung).
- Virtualise: Dematerialisierung der Ressourcennutzung durch virtuelle Bereitstellung.
- Exchange: Ersetzung von Produkten und Dienstleistungen durch ressourcenschonendere Optionen.
Auf diese Weise soll die Circular Economy dazu beitragen, durch effektive und regenerative Rückführung Ressourcen zu schonen und Abfall zu vermeiden. Verlängerte Nutzungs- und Lebensdauern sowie neue Serviceangebote tragen dazu bei, Produktion und Konsum zu „entschleunigen“.
Die Circular Economy in der Stadt?
Der Resolve Ansatz ist dabei allerdings stark auf die Produktion von Gütern ausgelegt. Dies ist nicht verwunderlich, da insbesondere international agierende Großkonzerne wie Google, Phillips, Renault, Danone, H&M und Unilever zu den Partnern der Ellen Mac Arthur Foundation gehören. Doch kann ein Ansatz dieser Art auch in Städten Anwendung finden? Kann er auch hier dazu beitragen, Müll und Verschmutzungen wegzudesignen, Materialien werterhaltend im Umlauf zu halten und natürliche Systeme in und um Städte herum zu regenerieren? Mehrere Kommunen in Europa versuchen bereits, zirkuläre Prozesse in ihren Städten aufzubauen und so zu einer „Circular City“ zu werden. So werden in Amsterdam Materialflüsse in der Stadt analysiert und Möglichkeiten gesucht, diese hochwertig zu schließen. Reparieren, Wiederverwendung und Sharingkonzepte werden dabei bevorzugt, es liegt jedoch auch ein Fokus auf innovativen Recyclingmethoden: So werden zum Beispiel Nährstoffe aus Lebensmittelabfällen zurückgeführt, Roh- und Mineralstoffe wie Phosphat, Zellulose, Nitrat und Proteine aus Klärschlamm wiedergewonnen und zum Teil die Bausubstanz von abgerissenen Häusern wiederverwendet. Die recycelten Ressourcen werden dabei auf städtischem und regionalem Niveau in Kreisläufe integriert. Auch die Stadt Glasgow geht ähnliche Wege und plant, aus überschüssiger Hitzeenergie aus Bäckereien Strom zurückzugewinnen, nährstoffreiches Abwasser aus Aquakulturen als Dünger für die Landwirtschaft zu verwenden und weggeworfenes Brot zu Bier zu fermentieren. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Städte durch ihre Nahräumlichkeit und Dichte gute Voraussetzungen bieten, um technische und biologische Kreisläufen lokal zu schließen.
Bei der Integration einer Kreislaufwirtschaft in Städten ist es aber darüber hinaus wichtig zu betrachten, dass Städte nicht nur Orte der Produktion, sondern vor allem auch des Konsums sind. Und wenn eine Stadt wirklich eine „Circular City“ werden will, muss auch mitgedacht werden, wie städtische Infrastrukturen, urbane Mobilität, Energiesysteme und die gebaute Umwelt in zirkuläre Muster überführt werden können. Während diese Bereiche in für die Stadt optimierten Circular Economy Frameworks Beachtung finden, gibt es eine Ressource, die bisher in diesen außen vor gelassen wird: Land.
Kritik an der Circular Economy
Der Grund und Boden ist in vielen hochbevölkerten und dichtbebauten Städten gleichzeitig das wichtigste und knappste Gut. Dabei spielt es nicht nur eine Rolle, wie etwa durch Kontaminierung oder durch Leerstand ungenutzte Flächen wieder aufbereitet und einer Verwendung zugeführt werden können, sondern es adressiert auch das Thema Bodenbesitz.
Auf welche Weise kann Land in Kreisläufe integriert werden, so dass sie für ökologische Ausgleichsflächen oder für dringend benötigten Wohnraum für ökonomisch schlechter Gestellte zur Verfügung stehen?
Diese Frage bleibt bei gegenwärtigen Konzeptualisierungen einer Circular City und einer Circular Economy unbeantwortet. Dies wirft aber Licht auf einen zentralen Kritikpunkt an diesen Strategien: Als unverändert markt- und rein wirtschaftsorientiertes Modell gibt eine Circular Economy keine Lösungen für tiefgreifende soziale Probleme. Vielmehr stellt eine Circular Economy eine ökologisierte, technologische Lösung für das Versagen des globalen Kapitalismus in Bezug auf die Bewahrung natürlicher Ressourcen dar. Um aber zu echter Nachhaltigkeit beizutragen, müssten Aspekte wie Teilhabe, soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität integriert werden. Dies trifft auch auf die bisherigen Versuche von Kommunen zu, Kreisläufe in Städten als Kreislaufwirtschaft zu schließen. So reproduzieren die verbreiteten Circular City-Konzepte oft den technisch-wirtschaftlichen Ansatz aus der Circular Economy und sind als von der Politik und Verwaltung entwickelte Strategiebilder meist als top-down angelegte Prozesse konzipiert, die wenig Raum für Anliegen und Mitsprache der Bürger*Innen einer Stadt lassen.
Transformatives Potential einer Urban Circular Society
Ein Problem in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist eine zirkuläre Wirtschaft und Gesellschaft, weit mehr als das lineare System, auf Kooperation, Zugänglichkeit und Solidarität angewiesen. Denn das Schließen von Kreisläufen birgt auch die Gefahr einer weitergehenden Machtkonzentration bei einigen wenigen, die dann neben Produktionsmechanismen auch die weitere Verwertung und Wiederverwendung von Ressourcen kontrollieren könnten. Das Schließen von Kreisläufen kann dadurch auch das Ausschließen von Teilen der Gesellschaft mit sich bringen. Dies ist umso mehr von Bedeutung, da zum anderen in vielen Regionen der Welt das Wachstum von Städten ohnehin mit einer steigenden Ungleichheit einhergeht.
Um das Potential von Zirkularität in vollem Umfang nutzen und um den notwendigen soziokulturellen Wandel verstehen und angehen zu können, ist es daher erforderlich, das wirtschaftliche Grundgerüst der Circular Economy um eine gesellschaftliche Dimension zu erweitern. Dafür eignen sich Städte als Transformationsfeld ideal, denn diese können selbst Orte sozialer und technischer Innovationen und Triebfeder gesellschaftlicher Umbrüche und Wandlungsprozesse sein. Sie haben „transformatives Potential“, um neue Wege in Richtung Nachhaltigkeit zu erproben und zu implementieren. Denn Städte sind Zentren zivilgesellschaftlicher Initiativen und Orte, an denen eine diverse Stadtgesellschaft Möglichkeitsräume suchen und finden kann, um neues Wissen und neue Praktiken zu entwickeln und zu erproben.
Aber wie kann dieses Potential genutzt werden und die Stadtbevölkerung an der Entwicklung zirkulärer Zukunftsszenarien beteiligt werden?
Zentral hierfür ist eine Integration und Beteiligung von Bürger*Innen in partizipativen Gestaltungsprozessen und die Ergänzung oder Ersetzung von kommunalen Top-Down Strategien durch Bottom-Up Initiativen und Grassroots Bewegungen. Hierfür ist es allerdings wichtig, die Bürger*Innen zu unterstützen und insbesondere subalterne und marginalisierte Gruppen zu empowern. Eine Strategie dabei ist es, diesen Akteur*Innen aus der Praxis Gewicht und Teilhabe bei der Wissensproduktion für Nachhaltigkeitsherausforderungen zusprechen. Experimentelle Ansätze wie Reallabore und partizipative Formen der Forschung wie eine „Citizen Science“ können dabei nicht nur die Expertise von tagtäglich mit diesen Herausforderungen konfrontierten Menschen adressieren, sondern bergen auch das Potential, die oftmals dominante Lücke zwischen Wissen und Handlung zu schließen.
Auch die Bereitstellung einer adaptiven Infrastruktur zur Förderung neuer Formen der Organisation und Zusammenarbeit kann Bürger*Innen dazu befähigen, an der Entwicklung zirkulärer Praktiken teilzuhaben. Dies muss begleitet werden von einer Kultur der Transparenz und der Kooperation, die veränderte Denkweisen zulässt und wirkmächtig werden lässt. Dann nämlich haben Städte das Potential, nicht nur durch eine Circular Economy die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren, sondern auch im Sinne einer „Urban Circular Society“ die Gesellschaft in diesen Prozess mit einzubetten. Dafür kann es hilfreich sein, Städte nicht nur als Ort von Produktion und Konsum zu verstehen, sondern vielmehr als einen „urbanen Metabolismus“ zu begreifen. So kann die wirtschaftliche Perspektive vom Schließen von Stoff- und Ressourcenkreisläufen erweitert werden auf Austauschbeziehungen zwischen Gesellschaft und Wirtschaft, zwischen Stadt und Umland und Technik und Umwelt.
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