Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Back to Normality
Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.
Dünner Regen tröpfelte aus einem grauen Himmel auf die weihnachtlich dekorierte Stadt. Mit Lametta umhangene Schaufenster, Menschen in dicken Winterjacken und festlich beleuchtete Restaurants zogen an mir vorbei. Im Radio trieben sie es auf die Spitze und spielten Phil Collins „Another Day in Paradise“. Ich hatte dieses Lied nie gemocht. Die Stimme meines Bruders, der das Auto lenkte, drang durch das Gewühl meiner Gedanken: „Was machst’n du, schläfst du?“
Am Vorabend war ich aus Malawi zurückgekommen und bewegte mich nun wieder auf europäischem Boden. Ich war zurück in der „Normalität“. Meine Heimatstadt hatte sich in den letzten Monaten nicht großartig verändert, doch nahm ich sie jetzt anders wahr. Zuviel war in der Zwischenzeit passiert.
Wie aus Steinen im Weg Gebirge werden
Zweieinhalb Monate war ich in Malawi gewesen, hatte dort mit Mel die Schneiderei aufgebaut, zum Laufen gebracht und für die Arbeit der kommenden Monate vorbereitet. Es war zehrend gewesen. Vieles von dem, was wir uns vorgenommen hatten, hatten wir erreicht, vieles andere nicht mehr geschafft. In einem der ärmsten Länder der Welt ein Business aufzubauen, ist kein einfaches Vorhaben.
Arm bedeutet, nach eurozentrischem Verständnis, wirtschaftlich wenig entwickelt zu sein. Darin liegt eine der größten Herausforderungen für Khala: zum Wirtschaften in Malawi fehlt es oftmals bereits an den Grundlagen. Dinge, die in Deutschland im Handumdrehen erledigt sind, wachsen in Malawi zu Mammutaufgaben heran. Für Besorgungen, die man in Deutschland an jeder Straßenecke erledigen kann, muss man in Malawi stundenlang die Stadt durchforsten oder das Gesuchte Wochen vorher aus dem Ausland bestellen. Die sehr lückenhafte Infrastruktur erschwert vieles. Dazu kommt eine oftmals andere Arbeitskultur, die selbst Behördengänge und Termine bei Institutionen bisweilen zu grotesken Schauspielen werden lässt. Nachdem ich mir etwa von zwei verschiedenen Anwälten die Machbarkeit des Vorhabens versichern lassen hatte, nahm ich die Eröffnung eines Bankkontos für Khala in Angriff. Es dauerte über eine Woche und verlangte mir die Odyssee durch die Büros der Filialleiter*innen verschiedener malawischer Banken in Verbindung mit hartnäckigem Hinterher-Telefonieren und dem Ausfüllen unzähliger Formulare ab, bis ich schließlich die relevante Information erhielt:
„Since you don’t have a residency in Malawi, opening an account will be very difficult.“ „Difficult or impossible?“
Zögern.
„Impossible.“
Rückschläge gehören dazu. Mel und ich tauschten uns mit vielen Unternehmerinnen und Unternehmern über die Schwierigkeiten des Geschäftslebens in Malawi aus. Dass es einem manchmal vorkäme, als würde man bei der Unternehmensgründung gezielt Steine in den Weg gelegt bekommen, vertrauten wir uns dem deutschen Manager einer Lodge am Malawisee an. Er riss die Augen auf. „Steine?“, schüttelte er energisch den Kopf, „Gebirge!“
Baut man in Deutschland ein Unternehmen auf, profitiert man vom Reichtum und der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Staates. In Malawi ist die Mission von Khala aber zunächst, bei der Schaffung wirtschaftlicher Entwicklung mitzuwirken. Insofern war es zwar frustrierend, aber kaum überraschend, wenn wir hilflos mitansehen mussten, wie aus dem steinigen Weg, der vor uns lag, immer wieder neue Gebirgsmassive entwuchsen.
It’s another day for you and me in paradise
Man muss sich das noch einmal bewusst machen: Wir agieren in einem Land, welches das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen der Welt aufweist. Der Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen ist nicht jedem möglich. Die Menschen leben in der Regel von der Hand in den Mund. Dadurch, dass es kaum wirtschaftliche Entwicklung gibt, gibt es keine Aufstiegschancen. Die Misere der Menschen zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es für die meisten keinen Ausweg daraus gibt *.
In Deutschland haben die Menschen Chancen – das ist der Unterschied. Als Kinder der Mittelschicht können wir uns selbst erfinden. Wir können sein, wer wir sein möchten, Yuppies, Hippies, Karrieremenschen, Dauerstudierende, Reisende; wir können uns ausprobieren. Alle Türen stehen uns offen, wir müssen uns nur eine aussuchen.
In Malawi gibt es solche Türen kaum. Man ist gezwungen, die nächstbeste zu nehmen, sonst gibt es abends nichts zu Essen. Ein malawisches Mädchen kann das Zeug zur Gehirnchirurgin, IT-Beraterin oder Elektroingenieurin haben. Weil sie aber nur wenige Jahre zur Schule gehen wird und zur Verwirklichung einer Geschäftsidee nicht an Startkapital gelangt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie letztendlich am Straßenrand Tomaten verkauft. In unserer Welt entscheidet der Ort, an dem man geboren wird, darüber, ob man seine Potentiale als Mensch entfalten darf. Selbst, wenn die Tomatenverkäuferin niemals Gehirnchirurgin geworden wäre: was rechtfertigt es, dass sie nicht zumindest die Chance darauf bekommt?
„Für deutsche Unternehmen ist Malawi ein weißer Fleck auf der Landkarte – und das grundsätzlich mit Recht“, schreibt die Deutsche Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika verbittert. Dabei hat dieses Land Projekte wie das unsere so nötig. Es fehlen Investitionen, damit Malawi eine Konjunktur entwickeln kann, die unabhängig von Spendengeldern ist. Die Menschen brauchen Perspektiven, um Glauben an die Zukunft und ein Verständnis für Nachhaltigkeit zu entwickeln; wer nicht daran glaubt, dass sich je etwas ändert, dem ist auch egal, was morgen passiert. Sie brauchen Chancen, um ihre Talente zu nutzen und selbst etwas aufzubauen. Irgendwer muss damit anfangen, den Weg dorthin zu ebnen.
Viele Menschen in Malawi kennen Europäer nur aus dem Fernsehen, vorausgesetzt sie besitzen einen Fernseher. Im Fernsehen wohnen wir in weihnachtlich dekorierten Städten, tragen schicke Jacken und fahren Autos ohne Sprünge in der Windschutzscheibe. „Was machst’n du, schläfst du?“, drang die Stimme meines Bruders durch das Gewühl meiner Gedanken und vorbei an Phil Collins, der es im Radio auf die Spitze trieb: „Oh, think twice, ‚cause it’s another day for you and me in paradise.“