Bei der Beratungsagentur entwickeln Studierende innovative und nachhaltige Strategien für soziale Unternehmen.
Eine Telefonseelsorgeeinrichtung, die erfolgreich Heranwachsende berät, aber durch steigende Kosten und sinkende Einnahmen in ihrer Existenz bedroht ist. Ein Start-Up, das nachhaltiges Toilettenpapier produziert, aber nicht genügend Kunden erreicht, um das Konzept zu etablieren. Eine Klimaschutzorganisation, die eine neue Strategie sucht, um Privatpersonen zu CO2 Einsparungen zu animieren, aber deren Mitarbeiter schon komplett ausgelastet sind.
Sozialunternehmen, gemeinnützige Organisationen und Initiativen leisten einen wichtigen Beitrag dazu, anderen Menschen zu helfen, die Umwelt zu schützen und die Welt zu einem etwas besseren Ort zu machen. Aber wer unterstützt sie, wenn bei ihnen selbst mal nicht alles nach Plan läuft? Der Australier Nat Ware hat dafür 2007 die Beratungsagentur 180 Degrees Consulting (180 DC) gegründet. Durch anspruchsvolle, aber kostengünstige Beratung möchte er sozial verantwortungsbewusste Projekte darin unterstützen, ihr volles Potential bei der Lösung ihres eigentlichen Aufgabengebietes zu entfalten. Sein Konzept: Die Beratung wird nicht von hauptberuflichen Unternehmensberatern übernommen, sondern von Studierenden. Diese arbeiten ehrenamtlich ein Semester lang neben dem Studium bei einem Beratungsprojekt mit und können so wertvolle Erfahrung sammeln. Die Projektpartner zahlen dadurch nur einen Unkostenbeitrag.
Der Ansatz hat sich bewährt: Mittlerweile haben sich an 87 Hochschulstandorten in 35 Länder unabhängig agierende Ortsgruppen von 180 DC gegründet – so auch in München. Dieses Semester hat der Münchner Standort unter anderem für die Telefonseelsorgeeinrichtung verschiedene Finanzierungsoptionen erarbeitet und eine Kooperation mit lokalen Unternehmen vorgeschlagen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen. Für den Toilettenpapierhersteller wurde eine Endkundenanalyse durchgeführt und die verstärkte Zusammenarbeit mit etablierten Einzelhandelsketten empfohlen. Und für die Klimaschutzorganisation wurde ein skalierbares Programm entwickelt, in dem engagierte Klimaschützer in einer ersten Stufe als Mentoren in ihrem Freundeskreis auftreten. Wir haben mit Elias Steiner, dem Vice President des als Verein organisierten Münchner Standorts von 180 Degrees Consulting gesprochen. Darüber wie so eine Beratung funktioniert, woher ihre Expertise stammt und welchen Mehrwert die Studierenden von ihrer Arbeit haben.
Wirtschaftsprüfung, Unternehmensberatung, studentische Beratung: Was macht eine Beratungsagentur aus und wie unterscheidet ihr euch davon?
Elias: Was jede Beratung ausmacht, ist der Blick von außen in eine Organisation hinein, der sehr wertvoll ist. Egal ob wachsendes Start-Up, etabliertes Unternehmen oder gemeinnützige Initiative – mit der Zeit verstetigen sich Prozesse und man hängt oft in den eigenen Strukturen fest. Eine Beratungsagentur unterzieht diese Strukturen einem kritischen Blick, kann frischen Wind hineinbringen, alte Muster neu denken und so eine Organisation unterstützen.
Den Projektpartnern, die wir beraten, fehlen ganz oft Ressourcen, um das Potential, das sie haben, zu entfalten. Sie haben dadurch häufig keine Zeit mehr, wichtige Themen wie beispielsweise Marketing, oder die Finanzierung von Projekten von Grund auf zu durchdenken und strategische Entscheidungen, die eigentlich wichtig wären, werden im Alltag oft von operativen Themen verdrängt. Eine konventionelle Beratung kommt für diese Organisationen aufgrund des Preises aber nicht in Frage.
Wenn man konventionelle Beratung hört, denkt man meist an die großen Unternehmensberatungen. Die können auf riesige Ressourcen weltweit zurückgreifen und auf Expertise in den verschiedensten Bereichen. Da können wir nicht mithalten, aber das wollen wir auch gar nicht. Entscheidend für uns ist es jeden Ansatz, jeden Projektpartner neu zu denken. Unsere Berater sind junge Studierende, die im Normalfall ein Semester lang beraten und dabei ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus dem Studium und ganz viel Leidenschaft mit einbringen. Wir gehen mit Sicherheit unerfahrener an die Dinge heran als eine große Unternehmensberatung. Aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch, sondern ist sogar wertvoll für unsere Arbeit, weil dadurch kreative, innovative Ideen entstehen können. Damit können wir einen ganz großen Mehrwert leisten.
Wie sieht denn eure Arbeit aus, innerhalb eines Semesters?
Elias: Vor dem Semesterbeginn startet bei uns die einmonatige Bewerbungsphase, in der sich engagierte Studierende als Berater bewerben können. Wir entscheiden uns dann nach einem intensiven Auswahlprozess für die Bewerber, von denen wir überzeugt sind, dass sie am besten in eines unserer Projektteams und zu unseren Werten passen. Direkt danach trifft sich jedes Projektteam mit dem Projektpartner, lernt sich kennen und stellt offene Fragen. Das ist ganz wichtig am Anfang, um die Projekte in eine klare gemeinsame Richtung zu lenken. Deswegen sollen die Projektteams vertieft herausfinden, was die Ausgangslage ist und mit welchen Herausforderungen sie es überhaupt zu tun haben.
Während des Semesters arbeiten die Teams dann eigenverantwortlich an einer individuell zugeschnittenen Strategie für den Projektpartner. Unterstützung bekommen die Teams dabei von einem unserer drei erfahrenen Consulting Director, deren Aufgabe es in erster Linie ist, die Arbeit der Beraterteams hin und wieder auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem haben wir immer wieder Feedbackrunden, in denen explizite Fragestellungen bearbeitet werden können und auf einer Mid-Term-Präsentation werden die Zwischenergebnisse vorgestellt. So stellen wir sicher, dass alle auf dem richtigen Weg sind. Am Ende des Semesters steht das Abschlussevent, bei dem in einem öffentlichen Rahmen das ganze Projekt anschaulich präsentiert wird. In den letzten Wochen findet dann noch die finale Abschlusspräsentation beim Projektpartner statt, bei der im Detail vorgestellt wird, was gemacht wurde, zu welchem Ergebnis man gekommen ist und welche Empfehlungen und Handlungsstrategien erarbeitet wurden. Parallel zu den Projekten läuft natürlich viel Organisatorisches im Hintergrund. Wir müssen schon vor dem Semesterstart die richtigen Projekte auswählen, das entsprechende Marketing betreiben, die richtigen Studierenden ansprechen und die Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern vorantreiben.

Bei 180 Degrees Consulting arbeiten Studierende ehrenamtlich bei einem Beratungsprojekt mit und können so wertvolle Erfahrung sammeln. (Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V.)
Woher kommen eure Projektpartner, wie akquiriert ihr sie?
Elias: Am Anfang – uns gibt es seit 2015 in München – lief es meistens über persönliche Beziehungen. Jemand kannte etwa jemanden von den SOS Kinderdörfern. Man hat dann zusammen ein super Projekt durchgeführt – aber eben überwiegend über Beziehungen. Mittlerweile haben wir über Jahre konstant zufriedene Projektpartner und das spricht sich rum, gerade im sozialen Umfeld. Deswegen haben wir keine Probleme mehr Projekte zu finden. Im Gegenteil, wir müssen auswählen, welche Projekte wir wirklich machen wollen und müssen entscheiden, wo wir am meisten Wirkung haben, wo wir uns am besten weiterentwickeln können und wo wir am meisten Input geben können. Mit einigen Organisationen haben wir auch Folgeprojekte durchgeführt. Und natürlich haben wir gewisse Anforderungen an unsere Projektpartner und an uns. Beispielsweise achten wir auf hohe Diversität der Projekte, und so kommt meist auch ein kleiner Teil unserer Projekte aus Kaltakquise.
Woher kommt eure Expertise in der Beratung eurer Projektpartnern in fachspezifischen Themen?
Elias: Das macht Beratung gewissermaßen auch in einem professionellen Umfeld aus. Man beschäftigt sich sehr oft mit Themen, mit denen man sich davor noch nie beschäftigt hat. Aber man hat einfach schlaue und motivierte Köpfe, die sich von außen neuen Themen annehmen und diese von Grund auf aufarbeiten. Genauso sind auch wir nicht in allen Bereichen, in denen wir arbeiten, von Anfang an Experten. Aber wir bauen uns das auf. Wir arbeiten in schwierigen Projektphasen mit externen Mentoren, Experten und erfahrenen Unternehmensberatern zusammen. Zu Beginn und während des Semesters organisieren wir Workshops, bei denen wir den Beratern Wissen und Methoden vermitteln. Mit unseren Kooperationspartnern, den Beratungsunternehmen Oliver Wyman und CGI führen wir jedes Semester thematisch wechselnde Workshops durch. Und wir organisieren auch den ein oder anderen Impuls. Dieses Semester hatten wir zum Beispiel Verena von dem Ökostromanbieter Polarstern da, die einen Workshop über Arbeit mit Sinn gegeben hat, oder Frank von der Nachhaltigkeitsberatung fors, der schon mehrmals einen Nachhaltigkeitsimpuls gegeben hat. Wir entwickeln uns so Semester für Semester weiter – damit aber auch die nachfolgenden Berater auf dieser Expertise aufbauen können, bauen wir gerade ein standortübergreifendes Wissensmanagement auf. Wir sammeln für jedes Projekt die relevanten Daten und überlegen, was wir sinnvoll für zukünftige Projekte verwenden können. Ein Steckenpferd von uns, Impact Measurement, haben wir inzwischen in vier Projekten durchgeführt und die Expertise, die wir uns da aufgebaut haben, erfolgreich an folgende Projektteams weitergegeben.

In Workshops werden den Studierenden durch externe Mentoren und erfahrene Unternehmensberater Wissen und Methoden vermittelt. (Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V.)
Was haben die Studierenden von ihrer Tätigkeit bei 180 DC?
Elias: Man kann anwenden, was man im Studium lernt, sich durch die Teamarbeit Fähigkeiten aneignen und durch den Input weiterbilden – und dabei kann man sich sozial engagieren. Ich glaube diese Kombination ist relativ einzigartig in München und deswegen eine großartige Möglichkeit. Außerdem kommt der Spaß bei uns nie zu kurz und man lernt super viele Leute kennen, die ähnliche Werte haben oder entwickeln. Das ist eine tolle Gemeinschaft, aus der neben engen Freundschaften auch ein spannendes Netzwerk entsteht.
Für viele eurer Bewerber stellt 180 DC mit Sicherheit auch die erste Gelegenheit dar, einmal als Berater oder Consultant zu arbeiten. Hast du das Gefühl, dass viele eurer Bewerber dies als Trittbrett sehen, um später mal bei einer großen Unternehmensberatung zu arbeiten?
Elias: Es ist mit Sicherheit so, dass Unternehmensberatungen auch Leute suchen, die sich neben ihrem Studium engagiert haben und die auch mal über den Tellerrand hinausgeschaut haben. Wir bieten unseren Beratern praxisorientierte Strategieprojekte, man lernt das Feingefühl für den Kunden und nebenbei leben wir eine stark ausgeprägte Feedbackkultur, die für die richtige Teamdynamik extrem wichtig ist. Insofern ja, 180 DC kann eine gute Vorbereitung sein, wenn man einmal in eine große Beratung will, auch wegen der guten Kontakte, die man hier knüpfen kann. Aber gleichzeitig sind hier genauso viele Leute dabei, die beruflich in eine komplett andere Richtung gehen wollen. Unsere Berater haben ganz unterschiedliche fachliche Hintergründe und Ziele, das ist wirklich ein bunter Mix. Klar haben wir viele Wirtschaftswissenschaftler hier. Aber von Management sozialer Innovationen über Tourismusmanagement, Medizin, Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Ingenieurswissenschaft und Physik bis hin zu Theologie war alles schon vertreten. Viele die bei uns beraten, gehen später in den Non-Profit- oder Social-Bereich und wir haben auch Alumni, die selbst im sozialen Bereich gegründet haben. Wir haben Leute, die um die Welt tingeln und solche, die an den großen Universitäten promovieren, oder bei Konzernen arbeiten. Und klar haben wir auch welche dabei, die irgendwann bei den großen Strategieberatungen arbeiten. Teil unserer Mission ist es, verantwortungsbewusste Führungskräfte mit einem entsprechenden Werteverständnis auszubilden. Wenn wir das in viele verschiedene Organisationen tragen können, ist das umso schöner. Diese Vielfalt zeichnet uns aus und macht es so aufregend mitzuarbeiten.
(c) Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V./ Beitragsbild: Sebastian Preiß