Jährlich werden in Indonesien Wälder in der Größe der Schweiz gerodet und zu Papier verarbeitet – eine Firma in Hennef hat dafür eine Alternative: Graspapier.
In vielen Bereichen wird Nachhaltigkeit groß geschrieben: nachhaltige Kleidung, Essen und Carsharing. Was viele nicht im Blick haben: Papier. Der Papierverbrauch steigt kontinuierlich – auch in Deutschland. Hierzulande wird zwar sehr viel Altpapier recycelt, aber trotzdem ist Deutschland der zweitgrößte Zellstoffimporteur der Welt . Pro Kopf werden hier laut WWF 253 Kilogramm Papier verbraucht. Katastrophal für die Wälder dieser Erde. Ein Grund für den steigenden Verbrauch ist auch der Versandhandel. Immer mehr Produkte werden online bestellt und im Karton geliefert. Uwe D’Agnone hat dafür eine umweltschonendere Alternative entwickelt, auf die bisher niemand gekommen ist: Papier aus Gras, beziehungsweise aus Heu.
„Vor etwa sechs Jahren habe ich einen Bericht gesehen über die Rodung indonesischer Urwälder. Dabei wird jedes Jahr eine Fläche so groß wie die Schweiz für die Zellstoffgewinnung abgeholzt. Dieses Material wird überwiegend im asiatischen Raum eingesetzt. Das hat mich einfach schockiert“, sagt Uwe D’Agnone. Der gelernte Industriekaufmann hat schon immer im Bereich Druckerei und Papier gearbeitet und sich mit gerade Mal 28 Jahren mit seiner Firma Creapaper selbstständig gemacht. Trotzdem waren ihm – wie vielen anderen, die in dieser Branche arbeiten – die Ausmaße nicht bewusst. Doch D’Agnone blieb nicht in Schockstarre, sondern wollte etwas an der Situation ändern: dafür brauchte es einen neuen Rohstoff.
Papier aus Holz braucht sehr viel Wasser
Doch wie entsteht überhaupt aus einem so festen und harten Produkt wie Holz etwas leicht Zerstörbares wie Papier, Karton oder Toilettenpapier? Damit der natürliche Kleber, der das Holz zusammenhält, das Lignin, sich lösen kann und die Fasern separiert werden können, muss bei der Papierherstellung einiges an Chemie eingesetzt werden – und Wasser. Alleine um eine Tonne Holzzellstoff zu gewinnen, benötigt man zweieinhalb Tonnen Holz und 6000 Liter Wasser. Uwe D’Agnone hat sich daher auf die Suche gemacht und ist fündig geworden: Gras. Denn damit weniger Chemie und Wasser verbraucht werden, sollte es eine Pflanze sein, die nicht so hoch wächst und daher weniger Lignin enthält. Gras beziehungsweise Heu ist daher ideal und braucht nicht mal Chemie bei der Aufbereitung. „Bei der Grasfaser findet nur ein Trocknungsprozess statt. Daher braucht es nur zwei Materialien: Wasser und Energie. Aber eben nur zwei Liter Wasser pro Tonne für Grasfasern und drei Prozent der Energie im Vergleich zur herkömmlichen Papierherstellung, um den Zellstoff zu separieren“, erklärt er. Insgesamt beinhaltet die Grasfaser-Produktion somit nur ein Viertel der herkömmlichen Co2-Emissionen.
Der Rohstoff für das Graspapier ist immer eine Mischung aus 40 bis 60 Prozent Grasfasern, Altpapierfasern und/oder neuen Holzfasern. Die Grasfasern werden dann zu Pellets gepresst, um möglichst viel Volumen transportieren zu können, aber auch, damit die Papierfabrik sie direkt und einfach einsetzen kann. Genutzt wird das Graspapier für Kartons und bei Obstverpackungen, als Ersatz für Kunststoffe. Aber auch als ganz normales Schreibpapier und auch ein Toilettenpapier mit Grasfasern ist im Entstehen.
Das ökologischste Papier der Welt
Eine tolle Entdeckung – könnte man meinen. Die Reaktion der Papierbranche war aber verhalten. „Die Papierindustrie ist sehr konservativ und nicht ganz förderlich ist die Tatsache, dass die großen Player auf der Welt integrierte Papierhersteller sind“, sagt D’Agnone. Integrierte Papierhersteller, das bedeutet, dass diese Konzerne die Wälder besitzen, aus denen sie das Holz nehmen und auch die Papierfabrik, in der der fertige Karton hergestellt wird. Ein alternativer Rohstoff spielt in dieser Größenordnung keine große Rolle. Nur wenige wollten daher das Graspapier herstellen. Also änderte D’Agnone seine Taktik. Er ging mit den Testergebnissen nicht mehr zu den Papierfabriken, sondern direkt zu den Endkunden. Mit deren Aufträgen konnte er sich dann Zeitfenster in der Fabrik kaufen, um Produkte aus Graspapier zu produzieren. Der erste Kunde, der eingestiegen ist, war der Ottoversand. Mittlerweile sind aber auch Rewe, Penny, Norma und Aldi dabei. Im Februar 2018 hat D’Agnones Idee den IKU Innovationpreis für Klima und Umwelt 2017 des Bundesumweltministeriums gewonnen. „Das Thema ist jetzt wirklich anerkannt und man kann sagen, dass wir das ökologischste Papier auf der Welt haben“, sagt D’Agnone.
Das Heu für das Graspapier bezieht D’Agnone vor allem von den sogenannten Ausgleichsflächen. Flächen, die als Ausgleich für die Verdichtung von Straßen, Häuser und anderen Böden, oft in ländlichen Regionen, geschaffen werden. Die Landwirte bekommen für diese Flächen Geld – dürfen dort aber auch nichts anbauen und das Gras nur zwei bis drei Mal im Jahr mähen. Perfekte Bedingungen für das Graspapier. Denn das Gras ist meist zu lang, als dass es die Nutztiere noch fressen würden und wird höchstens noch für Biogasanlagen verwendet. Außerdem sind die Fasern geeigneter, je länger das Gras wachsen darf. 95 Prozent dieses Heus bleibt aber ungenutzt. Das Gras von städtischen Grünflächen können sie leider nicht nutzen: „Diese Flächen sind zum einen nicht besonders groß, zum anderen oft kontaminiert. Gerade weil wir viel im Bereich Lebensmittelverpackung machen, geht das nicht, wenn auf dem Gras Hundekot war“, erklärt D’Agnone.
Die Nachfrage steigt
D’Agnone versucht seine Anlagen zur Herstellung der Rohstoffpellets für das Graspapier immer in der Nähe der Papierfabriken anzusiedeln – damit das Heu aus der Region genutzt wird und keine weiten Transportwege nötig sind. Noch sind die Mengen zu klein, als dass sich der günstigere Rohstoffpreis auf den Papierpreis auswirkt, aber das Graspapier ist auch nicht teurer als normales Papier. Wenn die Produktion steigt, soll sich das auch in einem günstigeren Preis bemerkbar machen. Nachfrage gibt es auch aus dem Ausland und Uwe D’Agnone hofft ab 2019 auch auf dem amerikanischen Markt vertreten zu sein. Irgendwann kann er dann vielleicht auch wieder durch die Schweiz fahren ohne daran zu denken, dass genau diese Fläche jedes Jahr gerodet wird, um Zellstoff zu produzieren, sondern immer noch ein Urwald in Indonesien ist.
(c) Alle Bilder: Creapaper