Die Initiative treibgut will die Nutzung verwendeter Materialien nachhaltiger gestalten und war nun Teil einer Ausstellung, in einem der renommiertesten Kunsthäuser der Welt.
treibgut – das ist eine Initiative, die einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leistet, indem sie verwendete Materialien aus Kunst und Theater vor dem Müllcontainer bewahrt, aufbereitet und im eigenen Lager zur Wiederverwendung anbietet. Um mehr darüber zu erfahren hat relaio bereits 2017 mit den Gründern der Initiative, Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi, gesprochen. In der Münchner Pinakothek der Moderne war treibgut nun Teil der Ausstellung „Circolution – Concepts for a sustainable future“, bei der ihre Arbeit einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Wir haben uns dort einmal umgeschaut und nachgefragt, was seit unserem letzten Besuch so alles geschehen ist.
Jonaid, bereits 2017 hatten wir euch schon einmal besucht. Damals stand bei euch, im Münchner Kreativquartier, der Abrissbagger vor der Tür: Wie ist es euch seitdem ergangen?
Jonaid: Das Lager steht nach wie vor und wir haben einen Mietvertrag bis Ende 2019. Es gibt auch noch keine offizielle Ansage, dass wir raus müssen, gleichzeitig aber auch keine feste Zusage, dass wir länger auf dem Gelände bleiben dürfen. Dazu kommt, dass wir in der Zwischenzeit unseren Außenbereich als Lagerfläche verloren haben. Der war für uns enorm wichtig. Wir mussten ihn aber räumen, da Mängel beim Brandschutz der Zufahrtswege einer Feuerwehr festgestellt wurden. Damit ist uns ein Drittel der Lagerfläche weggefallen.
Was bedeutet das für eure Arbeit?
Boris: Es ist schon eng geworden und wir können natürlich nicht mehr so viele Sachen aufnehmen. Wir schauen uns aber schon nach neuen Räumlichkeiten um, mit der Hoffnung etwas zu finden, wo wir unser Projekt in der verfolgten, größeren Struktur umsetzen können.
Eure Heimat ist das Münchner Kreativquartier – ein Zufluchtsort unkonventioneller Subkultur. Der soll jetzt städtisch „aufgewertet“ werden: Habt ihr das Gefühl, dass damit kreativer Raum in Gefahr ist?
Boris: Man merkt schon, dass hier die Gefahr droht, einen Freiraum so umzustrukturieren und letztlich zu gentrifizieren – auch wenn natürlich der Fokus auf Kunst, Kultur oder Kreativwirtschaft bestehen bleibt. Aber eben in einer so engen Struktur, dass möglicherweise der Charme des Areals verloren geht. Dahingehend versuchen wir uns auf dem Gelände zusammenzuschließen und unsere eigene Position nach außen klar zu kommunizieren.
Von der Subkultur zur Hochkultur – Wir sitzen hier gerade in der Pinakothek der Moderne, inmitten der größten Designsammlung der Welt: Wie ist es dazu gekommen?
Jonaid: Wir haben eine Anfrage bekommen von Studenten des Lehrstuhls für Industrial Design an der Technischen Universität in München, die eben hier eine Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit und Obsoleszenz auf die Beine gestellt haben. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wieviel brauchen wir eigentlich? Das ist genau unser Thema und am Ende wurde nicht nur über unsere Arbeit berichtet, sondern konnten wir auch einen aktiven Beitrag leisten, indem für die Ausstellung Materialien aus unseren Lagerbeständen verwendet werden konnten. Wir freuen uns natürlich sehr darüber, in einem Kontext wahrgenommen zu werden, der auch unser eigener ist. Und das in einer so namhaften Einrichtung.
Boris: Und die gleichzeitig Kooperationspartner von uns ist!
Jonaid: Genau! Aus der wir also auch schon Materialien in unser Lager aufgenommen haben und jetzt kehren wir zurück als Teil einer Ausstellung anstatt Material von einer Ausstellung mitzunehmen. Wer weiß, vielleicht nehmen wir aus dieser Ausstellung auch wieder Materialien mit – das ist natürlich der Materialkreislauf schlecht hin.
Boris: Und ich finde, Hochkultur und Subkultur müssen sich dabei auch überhaupt nicht widersprechen. Das ist ja gerade die Idee von treibgut, dass sich Synergien ergeben, indem man die Mittel geförderter Hochkultur versucht weiter zu nutzen. Das heißt, es soll einfach das weitergeleitet werden, was eh schon vorhanden ist und an anderer Stelle, wie in der freien Szene, wieder Früchte tragen kann. Beides hat also seine volle Berechtigung und sollte im besten Falle miteinander wachsen können.
In der Beschreibung zur Ausstellung heißt es, dass sie maßlosen Konsum anprangern will: Was versteht ihr eigentlich darunter?
Jonaid: In unserem Fall bedeutet das zum Beispiel ein Bühnenbild für 60.000 Euro anfertigen zu lassen und es dann doch nicht zu verwenden.
Das ist ja schon ein Beispiel dafür, warum es euer Projekt gibt, oder?
Jonaid: Definitiv, aber ich glaube nicht, dass es primär Maßlosigkeit ist, die uns auf den Plan gerufen hat, sondern der strukturelle Umgang mit Materialien selbst, der vielleicht sogar ressourcenschonend sein will, es zum Schluss aber nicht sein kann. Wenn etwa ein großes Haus eine Ausstellung mit einem großen Künstler auf die Beine stellt, dann gibt es meist ganz konkrete Vorstellungen, mit ganz konkreten Materialanforderungen. Das geht dann Ausstellung für Ausstellung so weiter, was bedeutet, dass gebrauchtes Material oft nicht wiederverwendet werden kann.
Boris: Und die entstehenden Kosten für eine Umarbeitung, übersteigen die einer Neuanfertigung.
Jonaid: In solchen Fällen wäre vielleicht eine Wiederverwendung nach längerer Zeit schon möglich, wenn etwa bestimmte Sachen wieder gefragt sind. Wenn dann aber eine Einrichtung nicht genügend Platz hat, um über längere Zeit zu lagern, dann steht man vor einem Problem und fragt sich: Was mach ich damit? Das ist genau der Punkt, an dem wir sagen: Hey, wir haben einen Raum, indem Material auf Zeit treffen kann! Wir bieten im Endeffekt die Zeit, die das Material überdauern darf, bis es wieder einen Nutzen findet, die sonst einfach fehlt.
Mit der Ausstellung sollen die Gründe für das Behalten und Teilen von künstlich geschaffenen Objekten untersucht werden: Seht ihr darin Potentiale?
Jonaid: Ich könnte mir als ideales Ziel vorstellen, dass sich die großen Kulturinstitutionen in Kooperationen begeben, Lagergemeinschaften bilden, als Anlaufstelle für alle weiteren Ausstellungen, die in diesen Institutionen stattfinden. Das heißt: Man teilt, indem man behält aber eben in einem öffentlicheren, kooperativen Zugang.
Würdet ihr dann vielleicht so etwas wie eine Sharing-Economy als Idee gegen Verschwendung ins Spiel bringen?
Jonaid: Naja, so eine Idee muss so viele Bereiche aufgreifen. Uns ist auch durchaus bewusst: Wenn das, was wir machen, in das Bewusstsein der Leute eingeht, die diesen Ausschuss produzieren, dann werden wir irgendwann selbst obsolet.
Boris: Das wäre natürlich eine utopische Zielsetzung, die überhaupt nicht realistisch ist. Wir werden sicherlich nicht den übergreifenden Strukturwechsel einleiten.
Aber ja schon unterstützen?
Boris: Klar! Wir werden auf jeden Fall unseren Beitrag dazu leisten. Aber die große Idee ist zu komplex – zumindest für uns. Jedenfalls wenn es darum geht, den einen Weg bestimmen zu wollen, ohne irgendwelchen Dogmen zu verfallen. Es braucht ja auch ganz verschiedene Initiativen und Arten des Einsatzes, um nachhaltig zu sein.
Jonaid: Ich denke für uns beide ist treibgut der Weg, der für uns funktioniert. Grundsätzlich aber sollte schon gelten: Weniger ist mehr.
(c) Alle Bilder: Christoph Eipert