Kommunikationshelfer
Nils Enders-Brenner ist Designer und hat einen Kommunikationshelfer entwickelt, der vor allem hörgeschädigte Menschen in der Kommunikation mit hörenden Personen unterstützen soll. Für relaio schreibt er über seine Erfahrungen, seine Projekte und die Herausforderungen, auf die er bei seiner Arbeit stößt.
Jedes Mal, wenn ich den Störer präsentieren will, fange ich mit den zwei Fragen an: „Können Sie mich hören? Können Sie mich sehen?” Sobald die Zuhörer und Zuschauer zweimal bejaht haben, schließe ich dann mit: „Wunderbar, das ist Kommunikation und die funktioniert, weil wir uns verstehen können.” In dieser Kolumne könnt ihr mich aber nicht hören, sondern nur lesen. Also muss ich in diesem Fall folgendes schreiben: „Können Sie mich lesen?” Hoffentlich habt ihr es verstehen können, ich weiß es nicht, da ich eure Reaktion nicht sehen kann. Ihr seht, wie hochkompliziert die Kommunikation ist, denn sie ist immer mit Störungen verbunden. Diese sind sehr vielfältig:
Es gibt technische Störungen, zum Beispiel wenn wir uns in einem Funkloch befinden und unser Taschentelefon kein Empfang mehr hat. Dann können wir nicht kommunizieren. Es passiert ebenfalls, wenn wir von Informationen überflutet werden, sodass wir nicht mehr zwischen wichtigen und unwichtigen unterscheiden können. Natürlich gibt es auch die Störung durch die Sprache, das kann passieren, wenn die Menschen keinen gemeinsamen Sprachcode haben, wie beispielsweise ein Gespräch zwischen einem Norddeutschen und einem Bayern.
Als ich noch ein Masterstudent der Technische Universität München am Lehrstuhl Industriedesign war, habe ich das Thema Kommunikation ausgesucht, da ich mich damit sehr gut auskenne. Erstens habe ich mich in meiner Bachelorarbeit intensiv mit Kommunikation beschäftigt. Zweitens bin ich von Geburt an hochgradig schwerhörig, das heißt, dass ich so gut wie taub bin. Und drittens musste ich während meiner ganzen Lebenszeit mit unterschiedlichen Kommunikationsbarrieren zurechtkommen, diesen ausweichen oder sie vermeiden.
Bei meiner Masterarbeit ist mir bei der Recherche aufgefallen, dass die meisten, wenn nicht alle, hörgeschädigten Studierende in ganz Deutschland vom Staat unzureichend gefördert werden. Der Staat unterschätzt nicht die wirklichen Probleme der Hörschädigung. Es ist ein großes Thema und darüber wird noch viel diskutiert.
Hörschädigung ist eine unsichtbare “Behinderung” (manche sprechen gar nicht von einer Behinderung, weil sie ein Teil der Gehörlosenkultur mit ihrer eigenen Sprache, der Gebärdensprache ist). Die Bürger können die Hörschädigung nicht sehen im Vergleich zu einem Rollstuhlfahrer oder einem Blinden. Diese Art von Behinderungen sind sichtbar und ihnen wird sofort Aufmerksamkeit geschenkt. Doch diese Aufmerksamkeit erhalten die Hörgeschädigten nicht, obwohl sie besonders viel davon brauchen, wenn sie sich in der Gesellschaft wohl fühlen wollen.
Bei meiner Masterarbeit habe ich versucht, die Kommunikation zwischen den hörenden und hörgeschädigten Studierende an den deutschen Universitäten wieder auf Augenhöhe zu bringen. Dabei habe ich die Methoden der Designforschung verwendet. Das heißt, ich habe zuerst viel über die Gehörlosenkultur und Schwierigkeiten der Hörschädigung in der hörenden Gesellschaft recherchiert. Erst als ich das erweiterte Grundwissen erlangt habe, habe ich 14 betroffene Studierende aus München und Hamburg interviewt. Nebenbei machte ich auch zwei Workshops mit insgesamt 30 Teilnehmern in Bayern. Am Ende ist durch intensive Recherche ein „Kommunikationsstörer“ entstanden.
Die Masterarbeit hat mir unglaublich viel Spaß gemacht und ich habe jeden Tag ungefähr zehn Stunden über sechs Monate hinweg dafür gearbeitet. Ich habe recherchiert, dokumentiert und am Ende einen Prototypen gebaut. Jetzt fragt ihr bestimmt, was ein Störer ist und was er macht?
Bei der Recherche habe ich herausgefunden, dass die meisten der hörgeschädigten Studierenden oft lieber alleine lernen oder zu zweit, da sie die Diskussionen mehrerer Kommilitonen nicht verfolgen können. Zudem sind die meisten der Universitätsleute sehr schlecht über Gehörlosigkeit aufgeklärt.
Außerdem habe ich auch noch die interessante Sache herausgefunden, dass es sich oft nicht lohnt, das Problem einfach weiterzuverfolgen. Am Ende entsteht zwar eine Lösung, aber mit neuen Problemen. Also habe ich mich dann in die entgegensetze Richtung bewegt, indem ich die Kommunikationsstörungen nicht reduziere, sondern sie verstärke. Ihr wisst ja, dass die Störungen nicht zu vermeiden, sondern nur reduzierbar sind. Auf diese Weise bleibt das Problem nicht nur an einem Hörgeschädigten hängen, sondern das Problem wird allen in der Gruppe bewusst.
Und wie funktioniert nun eigentlich der Störer?
Er funktioniert folgendermaßen: Das Gerät liegt unauffällig auf dem Tisch, während die Studenten ihre Gruppenarbeit machen. Der Störer kommt erst zum Einsatz, sobald einer der Gesprächspartner zu laut oder zu schnell spricht. Er stört den Sprecher durch ein lautes Feedback mit einem hohen primitiven Pfeifton. Das passiert ebenfalls, wenn die Sprecher sich gegenseitig unterbrechen. In diesem Fall muss der Hörgeschädigte den anderen nicht andauernd bitten, langsamer oder deutlicher zu sprechen. Das muss er nun nicht mehr machen, sondern das macht der Störer, der nun im Mittelpunkt steht und nicht der Mensch. Eine erfolgreiche Kommunikation funktioniert nur, wenn sie alle gegenseitig Rücksicht nehmen.
Ich erzähle den anderen gerne, dass die Menschen sich an den Störer anpassen müssen, wenn sie sich unterhalten wollen. Ihr wisst ja, dass die meisten Gegenstände so entworfen sind, dass sie sich an den Benutzer anpassen müssen.
Der Störer kann aber auch für andere Menschen sehr interessant sein. Es gibt unglaublich viele Anwendungsgebiete, wo das Gerät eingesetzt werden kann. Seine Hauptaufgabe ist, den Menschen wieder qualitatives Kommunizieren beizubringen. Er kann bei der Sprachtherapie eingesetzt werden, um den Menschen gegen das Stottern zu helfen, oder um eine Fremdsprache noch fließender zu beherrschen mit dem richtigen Rhythmus. Auch beim Präsentationstraining kann er verwendet werden, da er den Sprecher dazu erzieht, dass dieser im richtigen Sprechtempo und und der richtigen Lautstärke spricht. Das Gerät hat einen weiteren Pluspunkt, der heute immer wichtiger wird: Es sammelt keine Daten und es funktioniert in Eigenregie, das heißt, es wird kein Internetanschluss benötigt.
Ich habe zu diesem Thema bereits mehrere Präsentationen gehalten, wie ich am Anfang schon erwähnt habe. Bei einem Vortrag an der HAW Landshut wollten die Zuschauer mir gleich den Prototyp abkaufen wollten. Das ging leider nicht, da der Störer sich noch einem Entwicklungsstatus befindet und noch etwas unausgereift ist. Ich war jedoch bereit, den Prototyp für Testversuche zur Verfügung zu stellen und mir selber einen Neuen zubauen.
Das Gerät hatte auch einen Auftritt bei der Munich Creative Business Week, MCBW 2018 im Oskar-von-Miller Forum gehabt. Es hat zwar den Wettbewerb nicht gewonnen, aber es hat für Aufmerksamkeit gesorgt und die Besucher haben mich immer wieder ermuntert, es weiter zu verbessern.
Und was passiert als nächstes?
Wichtig ist für mich, den Prototypen zu einem marktfähigen Produkt zu machen. Um das zu erreichen, müssen die Funktionen noch besser werden. Natürlich muss weiter fleißig Feedback eingesammelt werden, indem er Testversuche durchläuft. Und das Patent muss noch eingereicht werden. Am Ende erfolgt dann die Werbung, die ich eigentlich jetzt schon mache, damit der Störer die erforderliche öffentliche Aufmerksamkeit bekommt.
Und ich habe immer noch keinen Namen für den Störer gefunden, aber das hat noch Zeit bis zur endgültigen Marktreife.
Schließlich möchte ich erwähnen, dass die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht einen stärkeren Eindruck hinterlässt, als die Kommunikation über technische Geräte oder soziale Medien.
Wie sich das Kommunikationsgerät weiterentwickelt und ob es vielleicht auch bald einen Namen gibt, erfahrt ihr in der nächsten Kolumne.
(c) Alle Bilder: Daria Stakhovska