Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Die Modenschau
Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.
Wir machen es uns aber auch nicht leicht. Im Oktober kamen wir nach Malawi, um innerhalb von zwei Monaten einen laufenden Betrieb aufzubauen und dann wieder nach Deutschland zu verschwinden. Die ersten Schritte, wie die Suche nach einer geeigneten Immobilie, der Einzug und das Einrichten des Ateliers, das Einstellen und Einarbeiten der Schneider und unserer Cutterin, schafften wir in drei Wochen. Parallel dazu galt es stets, einen Blick auf den deutschen Teil unseres Business zu halten. Mit Hubi, der Khala in München vertrat, machten wir Marketing, kämpften uns durch Bürokratie, bemühten uns, unsere Crowdfunder nicht zu vergraulen und kümmerten uns um die Bestellung neuer Arbeitsmaterialien.
Die Produktion in Malawi und der Vertrieb in Deutschland, das sind die beiden Teile von Khala, an denen wir seit Monaten arbeiten. In beiden Ländern sehen wir uns unterschiedlichen Herausforderungen gegenübergestellt. Ein Start-Up auf zwei Kontinenten zu gründen ist nicht einfach. Und immer wieder kommt es zu zusätzlicher Arbeit, die wir nicht
vorhergesehen haben.
Zuletzt mit dem Africa Fashion Festival. Um der Welt ihre Kreationen vorzuführen, kamen zu diesem Event Ende November Designer und Designerinnen aus allen möglichen afrikanischen und einigen europäischen Ländern in die Hauptstadt Malawis, Lilongwe. Zufällig fiel das Festival in die Zeit, in der auch Mel und ich in Malawi waren. Diesen Zufall hatten wir nicht nicht ungenutzt lassen wollen und uns noch im September von Deutschland aus für die Show angemeldet.
Es würde unsere erste professionelle Modenschau werden. Wir bekämen Models gestellt, die wir einkleiden würden und jede Menge Publicity im Heimatland von Khala. Unsere bisherigen Designs allein genügten dafür aber nicht. Obwohl wir andere Baustellen offen hatten, mussten wir also ein paar neue Kleidungsstücke aus dem Hut zaubern. Dieser Aufgabe nahm sich vor allem Mel an. Für unsere erste Kollektion hatten wir in München mit einem Designstudio zusammengearbeitet.
Back to the roots
Nun waren wir mit unseren Schneidern auf uns selbst gestellt. In einer lang andauernden Trial-and-Error-Phase versuchte sich Mel an neuen Entwürfen, während wir nebenher die Manufaktur zum Laufen brachten. Zunächst hatten wir falsche Vorbilder vor Augen gehabt, hatten an diese Bilder von Modenschauen mit abgedrehten Styles gedacht, die im richtigen Leben niemand trägt. Das Festival rückte immer näher und wir wussten nicht, was von uns erwartet werden würde. Irgendwann besannen wir uns darauf, dass wir kein Unternehmen gegründet hatten, um die Erwartungen der Modewelt zu erfüllen.
Also back to the roots: Khala macht Neo-traditional Streetstyle mit afrikanischen Chitenje-Stoffen. Wir begannen, unsere bestehenden Schnitte abzuwandeln und erweiterten unser Bomberjacken-Sortiment. Auf dem chaotischen Markt Lilongwes besorgte Mel Second-Hand-Jeans in Übergrößen. Es gibt hier auf den Märkten eine riesige Auswahl an gebrauchter Kleidung. Die Flut von Second-Hand-Kleidung, die die europäische Konsumgesellschaft auf die afrikanischen Märkte hereinbrechen lässt, stellt ein enormes Problem für die hiesige Textilwirtschaft dar. Durch den massenhaften Import billiger Kleidung aus westlichen Ländern, haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Schneiderinnen und Schneider ihre Arbeitsplätze verloren. Das ist einer der Gründe, warum wir Khala eigentlich machen.
Mel kaufte nun also die Jeans aus Europa und zerschnibbelte sie. Zusammen mit Frederic, unserem Chefschneider, kombinierte sie den freigewordenen Denim-Stoff mit Chitenje. Ein neues Bomberjacken-Design ward geboren. Auf ähnliche Weise upcyclete Mel alte Latzhosen. Die Kollektion wuchs. Ich leistete meinen Beitrag, indem ich meinen Traum einer Leinenjacke realisieren ließ. Von den Kleidungsstücken, die bei dem Prozess entstanden, wählten wir letztendlich 13 für die Modenschau aus.
Man gewöhnt sich an vieles
Seit dem Beginn unseres Aufenthalts war einige Zeit ins Land gezogen. Die häufiger werdenden Regengüsse kündeten von der nahenden Regenzeit. Wir waren in den Wochen in Malawi gewachsen, hatten Hoch- und Tiefphasen erlebt, uns oft in die Haare gekriegt und genauso oft wieder versöhnt. Wir waren mitgenommen. Unser Budget war längst im Minusbereich angekommen. Gleichzeitig hatten wir fünf Angestellte, die auf ihren Lohn angewiesen waren. Dieser Umstand veranlasste uns dazu, unsere Ansprüche so gering wie möglich zu halten und an allen Ecken und Enden zu sparen[1]. Das größte Sparpotential hatten wir bei unserer Unterbringung wahrgenommen. Mit drei jungen Malawiern bewohnten wir ein landestypisches, aus Lehmziegeln gemauertes Haus. Noch besser als uns Menschen, gefiel es dort der Rattenfamilie, die durch ein Loch in der Küchendecke das Zusammenleben bereicherte.
Man gewöhnt sich an Vieles. Der Magen-Darm-Trakt gewöhnt sich an den Genuss malawischen Leitungswassers. Und wir gewöhnten uns etwa daran, dass wir abends kein Licht hatten und manchmal kein Wasser, dass auch zwei Bananen ein Abendessen sein können und dass, wenn es anfängt an den Beinen zu kribbeln, wohl wieder eine Ameisenkolonie ihre Route verlegt hat.[2]
Wir gingen davon aus, dass das African Fashion Festival ein wenig Abwechslung in diesen Alltag bringen würde. Der Tag kam. Mel und ich waren die ganze Woche im Stress gewesen. Zur Feier des Tages zickten wir uns kontinuierlich an. Der Abend brach herein, in unserem Viertel herrschte wieder Stromausfall. Die Zeit drängte. Mel hatte einen Spiegel von der Wand gehängt und schminkte sich im staubigen Vorhof unter den matten Strahlen der untergehenden Sonne. Ich zwängte mich währenddessen in die zu kleine Hose eines unserer Mitbewohner, da ich selbst keine saubere mehr hatte, die dem Anlass gerecht werden hätte können. Kurz darauf kam unser Chauffeur.
Die Spannung steigt
Als wir im Tuk-Tuk an dem Luxushotel vorfuhren, das den Veranstaltungsort des Fashion Festivals darstellte, verloren wir für einen Moment die Kontrolle über unsere Kinnläden. Wir befanden uns am edelsten Ort, den wir bisher in Malawi gesehen hatten. Ein roter Teppich markierte den Weg zu einem türkisfarbenen Pool, um den sich die schneeweißen Gebäude des Hotelkomplexes sammelten. Über den Pool hatte man eine Rampe gelegt, die den Laufsteg für die Modenschauen darstellte. Rundherum standen die noch lichten Stuhlreihen. Links neben dem Laufsteg wartete eine alte Nähmaschine auf ihren Einsatz bei einer Performance-Kunstdarbietung.
Ein Herr mit Dreadlocks nahm uns in Empfang und geleitete uns in den Backstagebereich, wo es bereits vor Models und DesignerInnen wimmelte. Wir mussten uns noch ein paar Models aussuchen und den Khala-Imagefilm aus dem Internet laden. Es war viertel nach fünf, als uns der Mann mit den Dreadlocks mit der Ankündigung überraschte, dass wir um sechs Uhr die Ersten seien würden, ihre Kollektion zu präsentieren. Diesen Zeitdruck hätte es gar nicht unbedingt gebraucht, um die Spannung zu steigern. Denn der nächste Schock ereilte uns beim Öffnen der Box, in der sich die Outfits für die Models befanden. Unsere Managerin hatte ihren Auftrag, die Kleidungsstücke zu reinigen und zu bügeln, offenbar nicht besonders ernst genommen. Glücklicherweise gab es in der Unterkunft der Models ein Bügeleisen, welches wir benutzen durften. Während Mel eine Technik dafür entwickelte, Hemden so zu tragen, dass sie ihre eigenen Flecken verdecken, rannte ich zum Bügeln. Zugegeben, die weitere Handlung ist ein wenig vorhersehbar.
Wenn etwas schief läuft, dann aber richtig
Natürlich brannte ich ein Loch in eines der Outfits. Es war ein Jumpsuit mit einem Oberteil aus Chitenje und einer gelben Chiffon-Hose – eines der exklusivsten Stücke unserer Kollektion. Zu diesem Zeitpunkt machte es bereits keinen Sinn mehr, sich über irgendetwas zu ärgern. Ich überlegte kurz, ob ich der Symmetrie wegen auch ein Loch in das andere Hosenbein brennen sollte, entschied mich aber dagegen und schnitt die Hose über dem Brandloch kurzerhand ab. Der Jumpsuit endete im unteren Teil nun eben als Shorts. Weil ich nicht sauber geschnitten hatte, sah das eher so mittel aus. Inzwischen war Patrick eingetroffen, die gute Seele unseres Ateliers.
Jetzt kommt die Performancekunst-Nähmaschine ins Spiel.
Patrick nahm an der Nähmaschine am Pool platz. Vor ihm rutschte das Publikum auf seinen Sitzen herum. Es war bereits nach sechs. Der Dreadhead blieb ruhig: „Dann fängt die Show eben um halb sieben an“. In den Minuten, in denen Patrick das neue Jumpsuitdesign fertigimprovisierte, unterwiesen und koordinierten wir unsere Models, die Moderatoren der Show unterwiesen uns. Gespannt warteten wir auf Patrick, der sein Werk bald vollendet hatte und uns zufrieden das brandneue Design überreichte. Es konnte losgehen. Es war sieben. Malawisches sechs. Der minutenlange Höhepunkt der wochenlangen Vorbereitungen begann. Eines nach dem anderen, schritten die von uns eingekleideten Models über den Pool.
Die Kollektion kam gut an. Mel hatte sich als Designerin bewiesen. In unserer kurzen Rede, die wir im Anschluss auf dem Runway hielten, erklärten wir dem Publikum, dass sich Khala als Kollektiv versteht, dass die Designs in Zusammenarbeit vieler verschiedener Menschen entstehen.
Der Jumpsuit war natürlich das erste Outfit, das nach der Darbietung bestellt wurde. Auch unsere Bomberjacken waren der Renner. Der Moderator der Show schlüpfte zu jeder Ankündigung in ein anderes der neuen Modelle, der Manager des Luxushotels kaufte uns am nächsten Tag eines ab, die Moderatorin bestellte Jacken für ihre ganze Familie. Mit den Erlösen würden wir unsere Produktion wieder eine Zeit lang finanzieren können.
„T.I.A.,“ sagen die jungen Leute hier, „This is Africa.“