Ein Interview mit Julia Rittereiser über die Tabuisierung der Menstruation und einen nachhaltigeren Umgang mit entsprechenden Hygieneprodukten
Ein menstruierender Mensch verbraucht in seinem Leben durchschnittlich über 10.000 Monatshygieneprodukte – wenn Einwegprodukte wie Tampons und Binden verwendet werden. Mehrere Kilogramm Müll kommen so pro Person und Jahr zusammen. Einweg-Menstruationsprodukte beinhalten dabei häufig Plastik und Kunststoffverbindungen und verursachen bei der Entsorgung große Umweltbelastungen, insbesondere wenn sie einfach über die Toilette entsorgt werden. Doch nicht nur aufgrund der Entsorgungsproblematik ist es wichtig, sich genauer mit der Periode auseinanderzusetzen. Denn auch der gesellschaftliche Umgang damit hat weitreichende Folgen für Menschen mit Menstruation. Wir haben mit Julia Rittereiser, der Gründerin von KORA MIKINO über die Folgen der gesellschaftlichen Tabuisierung der Menstruation und über Möglichkeiten, die Periode mit Menstruationspanties nachhaltiger zu managen, gesprochen.
relaio: Die Periode ist gesellschaftlich tabuisiert, viele Menschen mit Menstruation behandeln sie möglichst diskret oder sogar schamhaft. Warum ist das so?
Julia Rittereiser : Das betrifft nicht nur das Thema Periode, sondern fast alles was den weiblichen Körper angeht: Körperflüssigkeiten und alles „dort unten“ wird bestenfalls mystifiziert, aber meistens doch eher tabuisiert, was ganz stark auf unsere doch sehr patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zurückzuführen ist. Das ist teilweise auch industriebedingt. Uns wurden die letzten 30 Jahre Hygieneprodukte mit blauen Blut vermarket. Sauber und diskret ist der Slogan, Hauptsache keiner sieht etwas oder bekommt etwas davon mit. Das hat natürlich zum Tabu beigetragen.
Was macht es mit Menschen mit Menstruation, dass die Periode so tabuisiert ist?
Zum einen limitiert es einen Menschen natürlich, wenn über einen so zentralen und auch gesundheitlich bedeutungsvollen Vorgang im Körper nicht offen gesprochen werden kann. Dadurch wird einfach nicht vermittelt, dass die Periode etwas ganz Natürliches ist und auch zeigt, dass der Körper normal funktioniert. Das Tabu hat aber auch den Aspekt, dass sowohl auf persönlichem als auch auf gesellschaftlichen Niveau wenig Wissen zu dem Thema vorhanden ist. Es gibt zum Beispiel sehr wenig medizinische Forschung dazu: Für uns war es eine Herausforderung, überhaupt einmal nur herauszufinden, wieviel Menstruationsblut eigentlich im Schnitt verloren geht – dazu gibt es kaum belastbare Fakten. Und auch zu Krankheiten wie Endometriose, unter der sehr viele menstruierende Menschen leiden, gibt es kaum medizinische Studien. Häufig werden Frauen vom Gynäkologen nach Hause geschickt nach dem Motto, sie haben einfach Periodenschmerzen, das ist eben ganz normal. Und oft kommt dann erst, wenn man Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden, heraus, dass man Zysten im Unterleib hat. Aber je nach Gesellschaft und Land hängen da noch sehr viel weitreichendere Probleme daran. Denn je nachdem wie die Versorgung mit Hygieneartikeln aussieht, kann das Einschnitte für das ganze Leben eines Menschen nach sich ziehen. Laut einer Studie von UNICEF haben von 1,8 Milliarden Menschen mit Menstruation weltweit 1,2 Milliarden keinen ausreichenden Zugang zu Menstruationsprodukten. Besonders Jugendliche im globalen Süden verpassen dann oft während ihrer Periode die Schule oder müssen diese ganz abbrechen. Und das ist dann eine Kettenreaktion, die sich durchs ganze Leben zieht. Ein Mensch mit Menstruation hat so einfach nicht die gleichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten wie jemand, der nicht menstruiert. Oder es gibt Gesellschaften, da werden menstruierende Menschen während der Periode sogar des eigenen Hauses verbannt. Aufgrund dieser weitreichenden Verflechtungen tut man ganz viel für das Empowerment der Hälfte der Weltbevölkerung, wenn man sich mit dem Thema Periode auseinandersetzt.
Was tut ihr gegen diese Tabuisierung der Periode?
Wir arbeiten da auf ganz vielen Ebenen – zum einen ist das die Art wie wir kommunizieren, bei uns ist das Periodenblut rot und wir reden offen und ehrlich darüber – einfach um dem Thema Aufmerksamkeit und einen Raum zu geben und es so zu normalisieren. Wir unterhalten dazu einen Blog und machen auch sehr viel auf Social Media. Dabei wollen wir einen Austausch fördern und auch ein Gespräch provozieren. Damit wollen wir die Auseinandersetzung mit der Periode anregen und auch Möglichkeiten, wie man diese alternativ und nachhaltig managen kann, in die Medien und Massenmedien bringen. So möchten wir zu einem Umdenken und auch zu einer Enttabuisierung beitragen. Dieses Ziel verfolgen wir auch mit unserem Produkt, den Menstruationspanties. Auch hier wird das Thema nicht mehr versteckt, sondern die Auseinandersetzung mit der Periode und dem Körper findet auf einer anderen Ebene statt.
Wie genau funktioniert die Menstruationspant?
Im Prinzip ist es eine Unterhose, die man während der Periode trägt. In deren Schritt ist eine unsichtbare Sauglage eingearbeitet, die nur wenige Millimeter dick ist. Der erste Layer unserer Sauglage besteht dabei aus einem grobporigen Wabenstoff, der das Blut sekundenschnell weitertransportiert und so für ein trockenes Tragegefühl sorgt. Das Blut wird anschließend vom SmartLayer eingeschlossen. Dieser ist besonders saugstark, geruchsneutralisierend und atmungsaktiv. Nach unten hin ist der SmartLayer wasserfest versiegelt, was den Auslaufschutz der Panty garantiert. So kann die Panty bis zu 30 Milliliter Periodenblut aufnehmen, das reicht bei den meisten Menschen den ganzen Tag oder die ganze Nacht. Abends ziehst du das Ding einfach wieder aus. Und das macht es super einfach – man trägt die Panty anstatt einer Unterhose und kann Tampons und Binden weglassen – die Menstruationspanty erledigt den ganzen Job. Und abends wäscht du sie am Waschbecken aus – dabei siehst du auch das Blut. Anschließend kommt die Panty zusammen mit der Wäsche in die Waschmaschine. Wenn du deine ganze Periode nur mit den Panties managen willst, brauchst du ungefähr drei bis fünf Panties, je nachdem wie lange und stark die Periode ist. Ich selbst habe fünf Menstruationspanties und das reicht mir vollkommen.
Was ändert sich durch die Nutzung der Panty am Umgang mit der Periode?
Gerade wenn man von einem Tampon umsteigt, kann es das erste Mal seit langem sein, das man wieder sein eigenes Periodenblut sieht. Und man merkt auch, wie es herausfließt. Das kann am Anfang ein ziemlicher Mindfuck sein, weil viele Menschen darauf trainiert sind, dieses Gefühl als Alarmstufe Rot zu sehen –jetzt versagt das Hygieneprodukt. Du musst dich erstmal mental drauf einstellen, dass die Panty das auffängt. Aber nach einer Gewöhnung empfinden tatsächlich viele dieses Gefühl als sehr angenehm, was dabei helfen kann, eine andere Verbindung zum Körper aufzubauen. Viele unserer Kund*Innen, mit denen wir darüber gesprochen haben, verwenden das Wort „natürlicher“ um uns ihren Umgang damit widerzuspiegeln. Oft hören wir auch, dass die Nutzer*Innen weniger Krämpfe und dadurch weniger Schmerzen bei der Periode haben. Aber das ist natürlich individuell.
Tampons stehen seit geraumer Zeit in der Kritik, da sie als Einwegprodukte viel Müll produzieren, ungerecht besteuert sind und auch zu vaginaler Trockenheit und zum toxischen Schocksyndrom führen können. Menstruationstassen gelten in der Hinsicht oft als nachhaltiger. Aber welche Vorteile bietet euer Produkt im Vergleich zur Tasse?
Wir haben super viele Nutzer*Innen, die beide Produkte in Kombination benutzen, da sie sich wirklich großartig ergänzen. Wenn man unterwegs ist und die Tasse auf einer öffentlichen Toilette wechselt, kann das ein bisschen eine Herausforderung sein, da nutzen einige dann die Panty als Backup. Oder es gibt auch Menschen, die einen super starken Flow haben und deswegen beide Produkte verwenden, damit sie nicht pausenlos auf die Toilette müssen.
Die Tasse ist ein super Produkt, aber sie passt anatomisch einfach nicht für jeden gleich gut. Deswegen nutzen manche die Panty als Backup oder als Alternative. Denn die sitzt wie eine Unterhose und ist dadurch in der Anwendung deutlich einfacher.
Wie bist du selbst auf die Idee gekommen, dich mit dem Thema zu beschäftigen und ein Unternehmen zu gründen?
Meine erste Motivation war, keinen Müll mehr zu produzieren und deswegen keine Wegwerfprodukte mehr zu kaufen. Deswegen habe ich die Menstruationstasse ausprobiert, aber das hat bei mir leider überhaupt nicht funktioniert. Bei vielen funktioniert das ganz toll – aber bei mir hat es einfach nicht gepasst. Ich bin dann auf eine Menstruationspanty von einem anderen Hersteller gestoßen und fand die nur ok – aber die Idee total geil. Ich habe dann ein paar Nachforschungen angestellt und festgestellt, dass das eigentlich ein sehr altes Produkt ist. Im Dresdner Hygienemuseum gibt es Menstruationspanties aus den 1960er und 1970er Jahren. Und das ist einfach vom Markt verschwunden, genau wie viele andere nachhaltige Produkte – die Menstruationstasse gibt es seit den 1930er Jahren. Alle diese nachhaltigen Produkte wurden vorm Markt gedrängt, sie galten als unrein und dreckig und wurden als rückständig gebrandet. Denn mit einem langlebigen und wiederverwendbaren Produkt kann viel weniger Geld verdient werden, als wenn eine Abhängigkeit kreiert wird und die Menschen jeden Monat das Produkt neu kaufen müssen.
Ich selbst habe lange für ein Tech-Unternehmen gearbeitet und hatte den Wunsch, etwas Eigenes zu gründen und dabei etwas zu machen, was sozial und ökologisch einzahlt. Ich wollte nicht mehr CO2 und Müll produzieren, sondern etwas schaffen, das einen Sinn über das eigentliche Wirtschaften hinaus hat. Und Ich habe also nach einer Möglichkeit gesucht, mich unternehmerisch zu betätigen und dann bin ich auf dieses Thema gestoßen, bei dem ich gemerkt habe, da kann man noch richtig etwas verbessern und jeden Monat viel Müll vermeiden. Aber nicht nur das macht unser Produkt nachhaltig, wir kaufen unsere Materialien nur in Europa und produzieren auch nur in Europa, um die Wege kurz zu halten und Sozialstandards gewährleisten zu können. In der Textilindustrie arbeiten fast nur Frauen. Unsere Arbeiter*Innen auf der Schwäbischen Alb und in Rumänien werden alle fair behandelt und bezahlt. Gerade wenn es um das Thema Female Empowerment geht, kann es aber nicht sein, dass ein Mensch für einen Hungerlohn das Produkt zusammennäht. Unsere Wertschöpfung findet deswegen aber auch nur in der westlichen Hemisphäre statt. Deswegen open-sourcen wir unsere Schnittmuster und Technologien für Organisationen im globalen Süden. Diese Initiative nennen wir „Period Pledge„. Wir wollen auch hier Menschen empowern, sich selbst zu versorgen. Und das ohne Abhängigkeiten von uns zu schaffen, also verlangen wir dafür kein Geld. Im Gegenteil, wir sind dabei Starter-Packages, mit Schnittmustern, Nähmaschinen uns so weiter zusammen zu stellen, um so diese riesige Versorgungslücke global zu schließen.
Alle Bilder (c) KORA MIKINO/ Nora Tabel