Fäkalien, Kot, Scheiße: für viele ein Tabuthema – außer für den Verein Non-Water Sanitation, der sich für nachhaltige Sanitärlösungen einsetzt.
Über den Toilettengang spricht man nicht. Muss man auch nicht, denn wenig ist hierzulande so selbstverständlich wie auf die Toilette zu gehen, wenn es mal drückt. Aber dass Toiletten meist nicht der Rede wert sind ist ein Privileg der westlichen Industrienationen: Denn weltweit haben über 40 Prozent aller Menschen, insbesondere in Entwicklungsländern, keinen hinreichenden Zugang zu sanitären Einrichtungen. Sie sind gezwungen, ihr Geschäft in aller Öffentlichkeit, am Straßenrand, an Bahngleisen, im Feld oder am Fluss zu verrichten – die sogenannte Open Defication. Keime, Bakterien und Parasiten aus den Fäkalien gelangen so in die Nahrungskette, verbreiten sich über Fliegen und kontaminieren das Grundwasser. Durchfallerkrankungen sind eine häufige Folge, welche jährlich mehr als 1,8 Millionen Menschen das Leben kosten. Aber auch Unterernährung, Hautkrankheiten und Organschäden gehören zu den Folgen. Über 90 Prozent der Opfer sind dabei im Kindesalter.
Kein Wunder also, dass von den Vereinten Nationen „Wasser und Sanitärversorgung für alle“ als eines von 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung formuliert wurde, gleichgestellt unter anderem mit der Forderung nach Bildung für alle und der Beendigung von Armut weltweit. Denn wenn Kinder mit Darmerkrankungen die Schule nicht mehr besuchen können, untergräbt dies auch Bildungsmaßnahmen und Armutsbekämpfungsstrategien. Doch gegen die Open Defication vorzugehen ist komplex, denn die offensichtliche Maßnahme, Toiletten für die betroffenen Bevölkerungsteile zu bauen, reicht alleine meist nicht aus, um das Problem in den Griff zu kriegen.
So sind es zum Beispiel in vielen Teilen von Indien soziale und kulturelle Dynamiken, die ausschlaggebend für die Open Defication sind: „Manchmal haben die reichsten Familien in einem Dorf, die mehrere Motorräder und eine Satellitenschüssel haben, keine Toiletten. Vielleicht weil sie es schon immer so machen.“ sagt Johann Angermann von Non Water Sanitation. Zusammen mit dem Verein engagiert er sich für eine Welt, in der Alle Zugang zu sauberen Toiletten und Trinkwasser haben und setzt dabei auf eine ganzheitliche Herangehensweise. Zentral ist dabei das Verstehen der soziokulturellen Einbettung des Themas. Zusammen mit Sozialwissenschaftler*innen und Student*innen der Savitribai Phule Universität in Pune, Indien hat der Verein eine große Umfrage zum Thema Zugang zu sanitären Einrichtungen durchgeführt. Denn obwohl von der indischen Regierung im großen Stil öffentliche und private Toiletten in ländlichen Gegenden gebaut wurden und so nach deren Angaben die Verfügbarkeit von Toiletten von 38 Prozent im Jahr 2014 auf 96 Prozent im Jahr 2018 gesteigert wurde, werden diese oftmals nicht genutzt. Für manche Bevölkerungsteile sind die Toiletten etwa zu weit entfernt und zu unkomfortabel, um alte Muster zu verdrängen. Anderen Teilen der Gesellschaft wird hingegen der Zugang zu Toiletten verwehrt: So gelten Frauen während ihrer Menstruation als unrein und dürfen in dieser Zeit oftmals die Toiletten nicht benutzen. Sie sind dann gezwungen, ihr Geschäft im Dunklen vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang im Freien zu erledigen. Und wenn es in Schulen keine Toiletten gibt, brechen Mädchen im Alter von 11 bis 13 diese oft ab, weil sie sich nicht zurückziehen können. Oft werden aber auch einfach die Toiletten nicht genutzt, weil diese nur unzureichend funktionieren, nicht abgeschlossen werden können oder kein elektrisches Licht haben. Und oftmals wird das Abwasser der neu errichteten Toiletten nicht aufbereitet, sondern versickert ungeklärt im Grundwasser. Die Probleme der Open Defication und einer unvollständigen Sanitärversorgung bleiben somit bestehen.
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Non Water Sanitation versucht in seinen Projekten vor Ort nachhaltige Lösungen für diese sanitäre Krise zu finden. So werden zusammen mit Partnern in Indien Toiletten gebaut, die auch wirklich genutzt werden und so die Praxis der Open Defication ablösen sollen. Neben einem Verständnis für die Hintergründe setzt Non Water Sanitation hier auf die Einbeziehung und Aufklärung der lokalen Bevölkerung. In Gesprächen werden individuelle Bedarfe ermittelt und Partnerschaften aufgebaut, so dass eine langfristige Nutzung garantiert werden kann. In seiner Arbeit setzt der Verein dabei auf Trockentoiletten: „Gerade im Hochsommer gibt es manchmal kaum genug Wasser, geschweige denn Trinkwasser, um Fäkalien runter zu spülen. Es hat nicht jeder den Luxus wie wir in Europa, dass wir unsere Fäkalien mit Trinkwasser transportieren“ erklärt Johann Angermann. Bei den Trockentoiletten werden die Fäkalien mit Asche oder Stroh abgedeckt und so getrocknet. Dieses Gemisch wird dann kompostiert, wodurch alle Krankheitserreger abgetötet werden. So wird nicht nur das Trinkwasser geschützt, sondern es entsteht auch ein idealer Dünger, der als Ressource in der Landwirtschaft genutzt werden kann. Die Trockentoilette bietet in solchen Regionen also einen klaren Vorteil gegenüber Toiletten mit Wasserspülung – allerdings setzt ihre Nutzung auch mehr Kenntnisse voraus. Non Water Sanitation unterweist daher die Nutzer*innen in Schulungen im Umgang mit den Toiletten und sensibilisiert gleichzeitig für das Thema Hygiene. Diese Aufklärungsarbeit ist dabei nicht nur in den Projektländern wichtig: Auch in Deutschland informiert der Verein Non Water Sanitation zur Sanitärproblematik. Denn auch wenn hierzulande Toiletten Teil des täglichen Lebens sind, wird das Thema Sanitärversorgung und Hygiene oft noch als Tabuthema behandelt.
(c) Alle Fotos: Johann Angermann