Die Projekte „Mohr-Villa bringt Freu(n)de“ und „KulturistenHOCH2“ liegen zwar 800 Kilometer voneinander entfernt, haben aber etwas gemeinsam: Sie bringen Jung und Alt zusammen und ermöglichen Allen mehr gesellschaftliche Teilhabe.
Es brummt in der Luft vor lauter Stimmengewirr. In Grüppchen sitzen Senior*innen und Schüler*innen aus der 8. Klasse zusammen, diskutieren, zeigen, gestikulieren. Heute ist Technikstunde. Das Thema scheint genau den Nerv der Zeit zu treffen. Denn auch die Senior*innen besitzen Smartphones, doch irgendwie wollen die oft nicht dasselbe wie sie. „Ich dachte erst, dass die Schüler*innen vielleicht nicht so einfach einen Zugang zu den Senior*innen finden, sich nicht trauen sie anzusprechen. Die waren aber total offen, haben teilweise sogar ihre Telefonnummern mit den Senioren*innen ausgetauscht, falls noch Fragen gibt, “ erzählt Helena Nitsche, die ein Freiwilliges Soziales Jahr Kultur im Kulturzentrum Mohr-Villa Freimann in München macht und das Projekt initiiert hat.
Ortwechsel: Gedämpfte Klänge, Teppichboden. Die vorbeiziehenden Menschen sind schick gekleidet. Es klingelt. Einmal. Zweimal. Die Pause in der Oper ist vorbei, jeder soll wieder an seinen Platz zurück. Auch eine Schülerin und eine Seniorin stellen ihre leeren Gläser weg und bewegen sich zurück Richtung Saal. Enkelin und Großmutter? Nicht ganz. „Es gibt viele ältere Menschen, die gerne zu kulturellen Veranstaltungen gehen würden, aber sie haben nicht das Geld und trauen sich auch nicht alleine. Für die jungen Leute ist die größte Motivation, dass sie eigentlich oft keinen Kontakt zu Senior*innen haben – außer zu den Großeltern, die oft weit weg wohnen“, erzählt Christine Worcht, Gründerin und Leitung von KULTURISTENHOCH2 in Hamburg.
Kaum Begegnungsorte für Generationen
Die zwei Projekte mit unterschiedlichem Ansatz verfolgen dasselbe Ziel: Senior*innen am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen und den Austausch zwischen Jung und Alt zu fördern. Fakt ist: Die Bevölkerung wird immer älter. Laut dem Statistischen Bundesamt wird die Anzahl der über 60-jährigen von 27,1 Prozent in 2013 auf 37,6 Prozent ansteigen. Dazu kommt, dass die Angst, aber auch eben die reelle Gefahr von Altersarmut immer weiter steigt. Gleichzeitig fragt man sich bei der ganzen Berichterstattung im Alltag auch: Wo sind diese ganzen älteren Menschen?
„Viele wohnen in entlegeneren Stadtteilen, wo die Mieten nicht so hoch sind und gehen auch wenig aus, weil die Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehrt teuer und sie auch einfach alleine sind“, erklärt Christine Worcht. Mit ihrer Initiative KULTURISTNEHOCH2 geht sie die Probleme Altersarmut, Einsamkeit und Isolation von älteren Menschen an. Hier werden ältere Menschen mit Schüler*innen aus einer nahegelegenen Schule zusammen gebracht, um eine gemeinsame kulturelle Veranstaltung zu besuchen – von Theater bis zum Heavy Metal Festival Wacken.
Die Tickets gibt es über die Teilhabe-Organisation Kulturleben. Sie organisieren Eintrittskarten für kulturelle Veranstaltungen und stellen sie armen Menschen in Hamburg kostenlos zu Verfügung – ein Pendant dazu in München wäre Kulturraum München e.V. Christine Worcht und ihr Team sorgen für die Tandems, die Fahrkarten und die Möglichkeit, dass sich das Tandempaar ein Getränk kaufen kann. „Ich habe damals mitbekommen, wie mein Vater nach dem Tod meiner Mutter sehr vereinsamt ist. Ich habe weit weggewohnt, wie das heute oft so ist, und konnte nicht viel für ihn da sein“, sagt Worcht. Genauso geht es den Schüler*innen, die ihre Großeltern oft auch nicht in der Nähe haben – nicht selten sind sie auch im Ausland. Ein weiterer toller Nebeneffekt: Es ist nicht nur ein Generationen-, sondern auch ein interkultureller Austausch.
Austausch zwischen Schüler*innen und Senior*innen
Ein Austausch von Generationen hatte auch Helena im Sinn. Als Freiwillige im FSJ Kultur bekommt man in der Mohr-Villa die Möglichkeit, sich ein eigenes Projekt auszudenken, das man über das Jahr hinweg betreut. Auf die Idee etwas mit Senior*innen zu machen ist Helena wegen ihrer eigenen Großmutter gekommen: „Durch das Lernen fürs Abitur und den Umzug nach München, habe ich einfach nicht mehr den Kontakt zu meiner 90-jährigen Oma. Und bei vielen meiner Bekannten ist es ähnlich.“ Dabei kann man so viel von den Älteren lernen – sie sind Zeitzeugen der Geschichte, haben viele Erfahrungen gemacht und könnten ihr Wissen, von alten Rezepten bis zur Handwerkskunst, weitergeben, bevor es vielleicht verloren geht. Aus all diesen Gründen und noch vielen mehr, hat Helena daraufhin das Seniorenwohnen Kieferngarten in München kontaktiert und ihre Idee eines Austausches vorgeschlagen. Seitdem gibt es einmal im Monat unter dem Motto „Mohr-Villa bringt Freu(n)de“ eine Aktion mit den Senior*innen – vom Spielenachmittag über ein Erzählcafé bis hin zur Technikberatungsstunde mit Schüler*innen aus der nahegelegenen Mittelschule an der Situlistraße.
Gute 800 Kilometer entfernt: Das Interesse an einem Kontakt mit Senior*innen ist auch bei den Infoveranstaltungen an den Schulen in Hamburg groß. Bevor Schüler*innen aber mitmachen können, müssen sie ein fünfstündiges Alterssimulationstraining absolvieren. Das heißt, sie müssen mal einen Tag nachfühlen, wie es ist, alt und nicht mehr so beweglich zu sein. Damit sie auch richtig mit ihren Tandempartner*innen umgehen. Die Senior*innen werden in Stadtteilen mit signifikant hoher Altersarmut angesprochen – über Seniorentreffs und kirchliche Gemeinden. Dabei ist es gerade zu Beginn nicht einfach, da die Schamgrenzen – zuzugeben, dass man nicht mehr als 1100 Euro zum Leben im Monat hat – sehr hoch sind. Mittlerweile ist die Initiative aber bekannt – und am besten funktioniert immer noch Mundpropaganda. Auch wenn die Tandems immer wieder wechseln, ein kleiner Teil bleibt auch über den Abend hinaus in Kontakt.
Der Unterschied der Generationen zeigt sich oft erst im Miteinander – und erklärt vielleicht auch so manche Verhaltensweisen. „Ich habe mich gleich mit Helena vorgestellt und die Senior*innen geduzt – das kam nicht so gut an. Hier siezen sich selbst Damen, die seit sieben Jahren zusammen zur Bastelstunde kommen. Somit bin ich hier jetzt Fräulein Helena und werde gesiezt“, erzählt Helena lachend. Das Programm findet bei den Bewohnern des großen Seniorenwohnens im Münchner Norden Anklang – auch über die monatlichen Treffen hinaus. So hat sich durch den Kartenspielenachmittag beispielsweise gleich eine regelmäßige Schafkopftruppe zusammengetan. Solche Momente sind für Helena das größte Lob. Auch nach ihrem FSJ will sie für ihr Studium in München bleiben – und das Projekt ehrenamtlich weiterführen.
(c) Titelbild: Mohr-Villa e.V. Freimann