Über Mut, Kunst und Kultur zwischen Raummangel und Gentrifizierung
treibgut – das ist eine Münchner Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ausgediente Materialien aus der Kunstszene vor dem Müllcontainer zu retten, sie aufzuarbeiten und aus ihrem Lager heraus, wieder Kunst- und Kulturschaffenden zukommen zu lassen. Treibgut will somit Raum schaffen für den persönlichen Austausch und der Beratung sowie Vernetzung Kunst- und Kulturschaffender. Das macht treibgut auch zu einem Fördertool, denn: Leute kommen, man unterhält sich darüber, was man vorhat und wie man es lösen kann, wie man welches Material verbauen könnte. Ein Fördertool ist treibgut auch deshalb, da Materialien zu einem weitaus geringeren Preis weitergegeben werden, als es auf dem Markt üblich wäre. Gut für eine kreative Szene also, die – anders als die großen Namen und Bühnen – keine riesen Budgets zur Verfügung hat und sich so trotzdem notwendige Utensilien zur Umsetzung eigener Projekte besorgen kann.
Das geht aber nur, wenn die eigenen Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Wären die Kosten für Transport, Arbeitsaufwand und Lagerung der Materialien zu hoch, wäre das am Ende auch der Preis für Endabnehmer und der Vorteil zu neuen Materialien wäre dahin. Konkret wird ein großer Teil der Kosten – wie die Mietkosten für das Lager – durch einen öffentlichen Träger übernommen. So kann treibgut, mit kommunaler Unterstützung, Räume frei nutzen, die in einem Wirtschaftszentrum wie München sonst kaum zu bezahlen sind. Diese Unterstützung ist überlebenswichtig für eine Initiative, deren Erlöse allein noch nicht das Leben ihrer Gründer finanzieren kann. Gut und wichtig ist sie trotzdem. Denn treibgut ist vor allem ein soziales Projekt, das sich nicht auf einen einzigen Schwerpunkt festlegen will und ökologische sowie gesellschaftlichen Interessen verbindet. Als nicht-kommerzielle Initiative ist es dennoch schwer sich in einem Umfeld zu behaupten in dem Raummangel und Gentrifizierung schon längst keine Schlagwörter, sondern reale Bedrohungen für das Leben und seine Kultur in der Großstadt geworden sind.
Wie kann also eine solche Initiative in einem Umfeld funktioniert, indem Wohnungsnot und Gentrifizierung auf der Tagesordnung stehen? Für Antworten sprachen wir mit den Gründern von treibgut Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi in ihrem Lager im Münchner Kreativquartier.
In Wirtschaftszentren wie München ist mietbarer Raum oft kaum bezahlbar. Wie seid ihr zu eurem Lager gekommen?
Jonaid: Wir hatten Glück. Die Räume wurden uns vom Kulturreferat kostenlos überlassen, nachdem wir dort bereits das Konzept unserer Lagerinitiative vorgestellt hatten.
Boris: Wir haben einfach versucht auszuarbeiten was wir hier vorhaben – über persönliche Gespräche und mithilfe einiger Leute, die uns unterstützt haben. Letztlich haben wir leerstehende, städtische Räume bekommen. Ich kannte die Räume bereits von einer Ausstellung, bei der ich mitgewirkt habe.
Würdet ihr das, was ihr macht, als einzigartig in einer Stadt wie München bezeichnen?
Jonaid: Bisher schon, also ich wüsste jetzt nicht, dass jemand das hier schon macht. Ich höre auch immer wieder: „Ah cool, dass ihr das macht, das hat hier noch gefehlt“.
Da kann man schon drauf stolz sein, oder?
Jonaid: Stolz in Details würde ich sagen. Ein Detail ist beispielsweise die Ausstellung die Boris alleine gestemmt hat und mir danach erzählt hat, dass er sie mit nur neun Euro umgesetzt hat.
Boris: Das war auf jeden Fall ein Erfolgserlebnis. Eine komplette Ausstellung, vom Licht bis zur Ausstellungsarchitektur bei der fast keine Kosten angefallen sind.
Was war die Idee eurer Ausstellung?
Boris: Es gab schon lange Gespräche darüber, eine Ausstellung zu machen, bei der unser Netzwerk an befreundeten Künstlern der hier ansässigen Kunstszene Raum zur Verfügung gestellt bekommt, um ihre Sachen zu präsentieren. Das Kreativquartier – also das Gelände auf dem wir uns befinden – hat sich dann an einem Stadtteilfest angeschlossen und direkt im Anschluss das Panama Plus Festival veranstaltet. Für letzteres wurden wir auch angefragt, etwas zu machen. Die Ausstellung ging über zehn Tage, hieß „White Cube. Not.“ und sollte einen Versuch darstellen mit den Räumlichkeiten eine Kreuzung, beziehungsweise Hybridform zwischen dem Lagerinventar und einer klassischen Kunstaustellung umzusetzen. Das hat erstaunlich gut geklappt. Wir haben versucht das Lagerinventar direkt zu nutzen um die Ausstellungsarchitektur hochzuziehen und ich habe das ganze eigentlich als installatives und skulpturales Gesamtpaket gesehen, in das ich dann die einzelnen Werke von insgesamt elf Künstlern eingebettet habe. Aus meiner Perspektive hat das sehr gut funktioniert. Das wurde auch vom Publikum so empfunden. Zudem sind wahnsinnig viele Leute vorbeigekommen, die sowohl die Ausstellung gesehen haben, als auch das Lager kennen gelernt haben. Das war für uns eine gute Art von direkter Öffentlichkeitsarbeit.
Wollt ihr mit solchen Aktionen euch auch ein zweites Standbein als Kulturplattform aufbauen?
Boris: Bis jetzt war die Ausstellung erstmal ein Versuch überhaupt den Raum anders zu nutzen. Ich glaube, wir müssen uns erst noch darüber klar werden, ob sowas wieder stattfindet oder ob das eine einmalige Geschichte war. Wir hatten jetzt auch wieder eine Anfrage für ein Konzert im kleinen Rahmen, wo wir bereits beschlossen haben, dass wir das eher nicht machen wollen. Auch aus dem Grund, dass der Fokus hier wirklich auf Lager, Lagerbestand und Aufarbeitung liegen soll.
Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie ihr euch finanziell absichern könnt?
Boris: Da sind wir dann doch eher die pragmatischen Typen, die vor Ort versuchen den Laden am Laufen zu halten. Aber klar, Unterstützung bräuchten wir eigentlich schon. Wir sind am Überlegen noch Leute mit ins Boot zu holen, die Aufgaben, wie zum Beispiel Pressearbeit, übernehmen. Es ist schwer den Laden voranzubringen, wenn wir zu zweit alle Aufgaben übernehmen müssen, ohne dass das finanziell was abwirft. Unsere Jobs, mit denen wir unsere Leben bestreiten, fressen auch sehr viel Zeit. Da wird klar, dass die Dimension von realisierbaren Projekten immer auch an die finanzielle Situation geknüpft ist. Letztlich vergrößern wir aber auch die Möglichkeiten bei Leuten, die durch unsere Initiative in der Lage sind künstlerische Projekte umzusetzen. Wenn man hier für 100 Euro einkauft, kann man viel mehr künstlerisch umsetzen, als wenn man alle Materialien neu kaufen müsste. Das ist für mich schon auch stark Grundimpuls und Motivation zugleich. Das gibt dem Ganzen eine Sinnhaftigkeit.
Mit eurer Unterstützer-Rolle seid ihr auch Gestalter der Kunstszene?
Boris: Das versuchen wir. Wir wollen zu einem festen Bestandteil der freien Szene in München werden, indem wir als klarer Anlaufpunkt für Kunstschaffende und Kreative, die Projekte umsetzten wollen, agieren.
Eure Heimstätte – das Kreativquartier – soll in den nächsten Jahren mit viel Geld umgestaltet und ausgebaut werden, einige Gebäude sind der Abrissbirne schon zum Opfer gefallen. Wie sieht eure Zukunft hier aus? Müsst ihr hier irgendwann raus?
Jonaid: Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum. Wir haben die Ansage, dass dieser ganze Gebäudezug abgerissen wird, definitiv. Nicht das ganze Areal, aber der Rahmenbebauungsplan sieht vor, dass rundherum im Kreativquartier sehr viel abgerissen wird und neugebaut wird, was eben auch unser Lager betrifft. Das heißt, über kurz oder lang müssen wir uns neue Räume suchen
Und das habt ihr vor?
Jonaid: Das hängt davon ab, wie unser Projekt beim Kulturreferat gesehen wird und ob sie gemerkt haben, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass wir mehr auf uns aufmerksam machen müssen, damit auch Außenstehende ein Gefühl dafür bekommen, wie ernst es uns damit ist.
Habt ihr Angst, dass eine freie, urbane Kunstszene der reichen „Hochkultur“ weichen muss?
Boris: Ja, momentan ist hier eines der letzten Gelände, dass ein bisschen Keimstätte sein kann, wo es einfach ein bisschen wilder zugeht und die Kreativszene noch nicht durchinstitutionalisiert ist.
Jonaid: … und nicht durchweg kreativwirtschaftlich ist. Kreativwirtschaft: dieser Begriff sagt schon aus, dass Kunst ökonomisch sinnvoll und funktional sein muss. Wenn es solche Vorgaben gibt, die du von vornherein erfüllen musst, dann kannst du dich gar nicht frei entfalten.
Sind Ökonomisierung und Institutionalisierung die typischen Charakteristika eures Umfelds?
Boris: Ja, Freiräume platt machen. Auch hier, diese Quadratmeter, die wir haben, die sind sehr teuer. Das ist Luxusboden hier – einfach zu zentral. Ich habe mitbekommen, dass Teile der Lokalpolitik versuchen so viel wie möglich zu erhalten. Anderen Teilen der Politik ist es aber völlig egal. Für die ist es wichtiger hier Wohnungen hinzustellen. Das kann man schon ein Stück nachvollziehen, da prallen verschiedene Welten und Interessen aufeinander. Aber ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass das Gelände hier wahrscheinlich in fünf oder zehn Jahren soweit umgemodelt ist, dass für eine freie Kreativszene nicht mehr viel Platz ist. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Leute vom Gelände und die Leute aus der freien Szene sich dafür einsetzten und dafür kämpfen, dass Freiräume erhalten bleiben. Im Grunde geht es darum den MUT zu haben sich dafür einzusetzen und auch den Mut zu haben, von Seiten der Stadt diese Freiräume zuzulassen und nicht alles kontrollieren zu müssen.
Mit den Freiräumen wird es also ganz schön knapp.
Jonaid: Man merkt, dass Kunst und Pragmatismus kaum nebeneinander existieren können. Warum auch immer. Klar, wenn hier Wohnungen entstehen, was auch wichtig ist, weil man bezahlbar wohnen muss, dann muss aber auch ein Supermarkt und dies und das und jenes rein und schon hast du als Nebeneffekt, dass alles andere verschwinden muss, weil es nicht effizient genug ist.
Woran liegt das?
Boris: Kunst wirft kein direktes Produkt ab. Das was es abwirft, das ist schlecht kalkulierbar. Aber so ist das mit kreativen Freiräumen: da kann was entstehen, muss aber nicht. Ebenso wenig ist Kunst planbar. Es kann sein, dass der kreative Output gering ist, es kann aber auch sein, dass Künstler hier zugange sind, die in zehn Jahren international ausstellen. Aber es kann nur und muss nicht – das ist anscheinend zu wenig. Das wird immer sofort weg argumentiert. Trotzdem, ich finde es sinnvoll hier zu bleiben und dann wird man sehen, wie es weitergeht.
Jonaid: Oder wir bauen selber.
Boris: Aus Pappkarton, haben wir ja alles draußen.
(c) Alle Bilder: Sebastian Preiß