Seit Juli 2018 gibt es das Über den Tellerrand Café in einer Münchner Volkshochschule. Das Konzept der Sozialgastronomie kommt an.
Trotz Wolken am Himmel und einem gehörigen Wind draußen, ist das Café mit seiner großen Glasfront zum Innenhof hell und freundlich. Die Tische sind voll besetzt, trotz Ferienzeit. Teilnehmer*innen der VHS-Kurse, Nachbar*innen und Geschäftsleute – eine bunte Mischung, die hier zusammen trifft. Mittendrin schwirrt Yahyah vor und zurück, immer mit einem Lächeln und einem Scherz auf den Lippen. Der Syrer arbeitet als Service-Experte im Café Über-den-Tellerrand-kochen in München und manchmal auch bei Kochevents als Koch. Er ist einer von 14 Mitarbeitenden – mit und ohne Fluchthintergrund.
Angefangen hat alles 2015. Jasmin Seipp wollte etwas tun – aber nicht Kleider austeilen oder Geld spenden. Die gelernte Betriebswirtin hat zu diesem Zeitpunkt noch als Finanzmanagerin gearbeitet. Durch einen Zufall erfährt sie von dem Verein Über den Tellerrand kochen in Berlin. Sie schreibt die Initiatoren an und erfährt, dass es bereits Interessenten gibt, die sich zum gemeinsamen Kochen zusammenschließen wollen.
Gemeinsam Kochen
Entspanntes Kochen – waschen, kleinschneiden, anbraten – und durch die gemeinsame Tätigkeit und anschließende zusammensitzen und essen ins Gespräch kommen. Ein niederschwelliges und einfaches Angebot, das aber gerade deswegen Wirkung zeigt. Schnell wurden aus den monatlichen wöchentliche Kochtreffs. Maximal 25 Leute konnten daran teilnehmen und manchmal mussten auch Personen abgewiesen werden. Die Kochtreffs fanden an unterschiedlichen Orten statt, unter anderem an den münchner Volkshochschulen. „Wichtig waren uns schöne Räume, in denen man sich wohlfühlt. Im Gegensatz zu den Flüchtlingsunterkünften“, sagt Jasmin. Es entwickelten sich Freundschaften, man traf sich auch außerhalb der Kochtreffs und manch einer verliebte sich sogar. Erst am Wochenende vor dem Interview war Jasmin auf der Hochzeit eines Paares, das sich im Bellevue di Monaco und dem Kochtreff kennen gelernt hatte. „Nur durch unsere Events haben wir mittlerweile gut 3.000 Menschen erreicht – und dabei sind die nicht mitgezählt, denen man es am nächsten Tag im Büro erzählt und noch von den Resten probieren lässt“, sagt Jasmin.
Selbst ein Café haben? Das war immer schon ein kleiner Traum von Jasmin – doch dass er sich erfüllt, hat sie eigentlich nie erwartet. Als der Pächter der Volkshochschule im Einstein aufhörte, bot sich die Gelegenheit Über den Tellerrand auf eine andere Stufe zu heben. Gemeinsam mit der Videoredakteurin Julia Harig beschloss Jasmin: Wir machen das! Im Juli 2018 war es dann soweit: Das erste Über den Tellerrand Café eröffnete. Auf die Karte kam eine Mischung aus bayerischen und arabischen Gerichten, aber es gibt auch einen afrikanischen Erdnusshähnchen-Eintopf und viel Fusion-Küche. Der Verein und die Mitarbeitenden entschieden gemeinsam, was angeboten wird. Es sollte immer etwas dabei sein, das jeder kennt und etwas, das neu ist. Auch um im Geschmack mehr Verständigung zu erzielen. Ganz natürlich ist es außerdem für sie, dass sie möglichst lokal und regional einkaufen und faire Produkte, wie die Schokolade von fairafric, anbieten.
Drei verschiedene Preiskategorien
Eine weitere Besonderheit des Cafés ist die soziale Preisspanne beim Mittagstisch. „Täglich müssen wir einen Spagat schaffen zwischen den Leuten, die sich Essengehen nicht leisten können und der Verantwortung für unsere Mitarbeitenden und ihre Arbeitsplätze“, erklärt Jasmin. Gemeinsam mit der studentischen Unternehmensberatung 180 Degree Consulting haben sie sich mehrere Optionen angeschaut, wie diese Preisspanne umgesetzt werden kann. Am Ende entschieden sie sich für ein System mit drei Preisen: der niedrigste Preis ist für den kleinen Geldbeutel, der mittlere deckt die Kosten und mit dem höchsten Preis unterstützt man das Café zusätzlich. „Auf diese Weise muss man sich auch nicht mit Studierenden- und Seniorenrabat für einen niedrigeren Preis rechtfertigen – jeder zahlt eben das, was er kann“, sagt Jasmin. Das Konzept soll auch auf die normale Karte ausgeweitet werden. Das Sozialunternehmen bietet diese Möglichkeit, obwohl das Café finanziell noch nicht ganz stabil ist – nicht ungewöhnlich für ein frisch gegründetes Unternehmen im ersten Jahr. Das Café selbst ist eine eigene GmbH, die zu 100 Prozent dem Verein Über den Tellerrand München gehört. Auf diese Weise verringert sich das Haftungsrisiko für Jasmin und Julia erheblich. „Wir haben noch Kapazitäten, gerade nachmittags und abends, die wir weiter ausbauen wollen. Außerdem gehen wir nun auch langsam das Thema Catering an, da wir hier viele Anfragen bekommen“, erzählt Jasmin. Neben den immer noch stattfindenden Kochtreffs gibt es auch Spieleabend und Sprachcafés – professionell gekocht werden kann auch bei Kochkursen oder einem gemeinsamen Teamevent mit der Arbeit.
Integration fängt für Jasmin im Kleinen an. Es sind Begegnungen im Alltag, manchmal noch so klein, die zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen können. Sei es, wenn eine ältere Dame im Café Mitarbeiter Cham neugierig fragt, wie er sich die Rastazöpfe macht oder die Möglichkeit der Teilhabe und der Mitgestaltung für die Mitarbeiter*innen des Cafés. „Unsere große Vision ist, dass das hier zum Leuchtturmprojekt wird. Ein Beispiel dafür, wie man einen Gastronomiebetrieb auch sozial gestalten kann, indem man Menschen eine Chance gibt, auch wenn sie kein Deutsch können. Das kann man lernen – auch wie man zwei Teller auf einer Hand trägt – aber Motivation und Gastfreundschaft nicht“, sagt Jasmin. Auch die Jury des Gastrogründerpreises 2019 gab Jasmin und Julia Recht. Unter 270 Bewerbern ging das Über den Tellerrand Café als Gewinner von 10.000 Euro und einem Coaching-Programm hervor. Eine Belohnung für die harte Arbeit von Jasmin und ihrem Team, aber vor allem auch eine Möglichkeit ihre Idee weiterzuentwickeln und noch mehr Menschen zu erreichen.
(c) Alles Bilder Sebastian Preiß