Durch gemeinsames Arbeiten mit Holz Begegnung und Austausch schaffen: Ein Konzept, das aufgeht.
„Bum, Bum, Bum – Raspel, Raspel – Sssssccccchhhhhh“ – verschiedenste Geräusche von klopfenden Hämmern auf Nägel, von Schleifpapier auf Holz und einer Säge dröhnen durch den Raum. Jeder ist konzentriert bei der Sache. Markus Rupprecht, Schreiner und Diplom-Ingenieur für Innenarchitektur, schaut den einzelnen Personen immer wieder über die Schulter und hilft, wenn etwas nicht funktioniert. Es könnte eine normale Situation in einer Schreinerei sein – ist es aber nicht. Der werkraum ist viel mehr. Er bietet Geflüchteten, Langzeitarbeitslosen, aber auch Senioren und Jugendlichen die Möglichkeit, selber aktiv zu werden, etwas für sich selbst oder für die Gemeinschaft zu bauen, etwas über das Handwerk zu lernen und sich mit den ausgebildeten Organisatoren, aber auch untereinander, auszutauschen. Über zwei Jahre gibt es das Projekt nun. Seitdem hat es sich immer wieder verändert.
Im Frühjahr 2016, nach einem Workshop über den Design-Build-Ansatz im Rahmen der Social Design Elevation Days und dem Selbstbau von Möbeln in Flüchtlingsunterkünften, wurde es mit dem Pilotprojekt konkret. „Richtig Schwung kam in die Sache, als wir die Ideen in einer Flüchtlingsunterkunft, die es heute nicht mehr gibt, umsetzen konnten. Zeitweise waren dort 900 bis 1.000 Menschen untergebracht. Dort haben wir dann jeden Samstag gemeinsam mit den Geflüchteten gearbeitet“, sagte Markus.
Neben der Hans Sauer Stiftung unterstützen das Projekt anfangs die Akademie der bildenden Künste München, die Stadt München und der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising – mittlerweile beteiligt sich nur noch die Stiftung und in Teilen Condrobs e.V. Gemeinsam entstanden so große Möbelstücke für die Gemeinschaftsbereiche. Als niedrigschwelliges Beschäftigungsangebot und Möglichkeit, sich auch mit anderen Menschen auszutauschen, wurde das Möbelbauen gut angenommen. „Zuerst waren es kleine Grüppchen, nach Nationen aufgeteilt. Über mehrere Wochen hat sich daraus eine Gruppe von etwa acht Leuten verschiedener Nationalitäten herausgebildet, die immer wieder da waren und auch untereinander unabhängig von uns Kontakt hatten. Das zu sehen, war ein wahnsinnig schöner Moment“, sagte Markus. Der werkraum wurde so zum Ort des interkulturellen Austausches, der auch Geschlechterrollen überwand. „Da gab es beispielswiese einige junge, pakistanische Frauen, die immer wieder gekommen sind. Für manche Männer, wie dem Syrer Muhammad, war das eigentlich eine sehr männliche Arbeit. Aber die Frauen haben sich nicht abschütteln lassen und wurden dann auch von ihm akzeptiert“, erzählt Markus.
Ende 2016 war dann aber fürs erste Schluss. Die Flüchtlingsunterkunft wurde geschlossen und somit verlor auch der werkraum seinen angestammten Platz. Gleichzeitig war das eine Gelegenheit, weiter zu denken und das Projekt auf eine neue Stufe zu stellen. Neben Überlegungen, ob man aus dem Projekt ein mobiles macht, das umherfährt, wurde die Idee, den werkraum zu verstetigen immer konkreter. Im Januar 2017 war dann klar: Der werkraum bekamt für mindestens zwei Jahre feste Räumlichkeiten in der Flüchtlingsunterkunft in der Hofmannstraße in München-Sendling. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten Markus Rupprecht, sowie Barbara Lersch von der Hans Sauer Stiftung mit an dem Projekt. Neu hinzu kam der irische Social Designer Conor Trawinski und Ende 2017 machte der Schreiner und Designer Stefan Kiesel das werkraum-Team komplett. „Während meiner Zeit in Holland haben wir eine Nachbarschaftsmöbelfabrik gegründet. Ähnlich wie beim werkraum haben wir dort mit Ehrenamtlichen Möbel gebaut. Es ging aber nicht per se um Geflüchtete, sondern auch um die Reintegration von Arbeitslosen“, sagte Conor. In der Hofmannstraße gab es ein regelmäßiges Angebot, freitags von 15 bis 17 Uhr, an dem jeder Interessierte in der Werkstatt bauen kann. Nachdem man mindestens vier Mal dabei war, wurde ein Teilnahme-Zertifikat ausgestellt. Das Angebot kam gut an und manch einer schaute selbst nachdem er in eine andere Unterkunft umgezogen ist, wieder zum Arbeiten vorbei.
„Am ersten Tag waren etwa 13 Leute da, am zweiten Tag acht und dann kamen regelmäßig etwa fünf bis acht Personen zum Bauen. Zu Beginn haben sie viel für sich selbst gebaut und Kontakte geknüpft und sind dann eben teilweise auch nicht mehr gekommen. Die haben ihren Mehrwert durch den werkraum bereits bekommen“, sagte Conor. Während der Arbeit würden sie nicht nur etwas über das Arbeiten mit Holz lernen, sondern auch wie die Deutschen – oder in seinem Fall vielleicht eher wie die Europäer – so ticken und wie die Dinge ablaufen.
Neben der festen Werkstatt werden aber auch Angebote in anderen Unterkünften gemacht. Dann bereitet das Team vom werkraum die grundlegenden Sachen vor – wie Bretter zuschneiden und größere, gröbere Arbeiten – und quartieren sich für drei Abende in anderen Einrichtungen ein und bauen dort mit den Geflüchteten. Es gibt aber auch größere Projekte, wie die Zusammenarbeit mit wirWerk, den Freiraumsommer 2018 in München-Obersendling oder das „Über den Tellerrand“-Café. Für alle hat der werkraum, gemeinsam mit dem Netzwerk des jeweiligen Projektes, Möbel gefertigt. So können sie sich auch besser und langfristiger finanzieren. Denn bisher kamen die Gelder vor allem von der Hans Sauer Stiftung und die Räumlichkeiten wurden kostenlos zur Verfügung gestellt. „Die Stiftung hat auch eine Basis an Werkzeugen finanziert – trotzdem bringen wir drei unsere eigenen Werkzeuge immer mit. Sonst würde das gar nicht reichen“, sagte Markus.
Durch die Stiftung wurde der werkraum auch Teil von zwei weiteren Projekten. Zum einen bauten sie im Zuge von „Schule macht sich“ gemeinsam mit 25 Personen, darunter Kinder, Eltern, Hausmeister, Lehrer und Geflüchteten die Möbel für drei Klassenzimmer in der Südschule in Bad Tölz. Hier wurden nicht die klassischen Tische mit Stühlen gebaut, sondern Stehtische und variable Hocker als Alternativen.
Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich auf dem Boden zu setzen oder sich in ein Lernzelt zurückzuziehen. Zum anderen arbeitet das werkraum-Team gerade an einem Projekt von HOME NOT SHELTER in Stuttgart, in dem es darum geht in einem partizipativen Prozess Möbel für einen Lernraum in einer Flüchtlingsunterkunft zu entwickeln. Die Planung dafür ist im vollen Gange. Im Laufe der kommenden Monate sollen die Möbel dann während eines Events gemeinsam gebaut werden.
Während also der werkraum so richtig Fahrt aufnimmt, musste sich sein Team parallel zum Jahreswechsel 2018/2019 nach neuen Räumlichkeiten umsehen, denn die Flüchtlingsunterkunft soll einem anderen Bauprojekt weichen. Glücklicherweise gab es dann gleich zwei Angebote – das Kreativquartier und die alte Färberei in München. Am Ende ging es in Letzteres und innerhalb kürzester Zeit wurde umgezogen. Der Umzug bedeutet eine Veränderung – in mehrerer Hinsicht. Der werkraum öffnet sich beispielsweise mehr anderen Interessenten und ist nicht mehr so fokussiert auf Geflüchtete. Es soll immer noch einen offenen werkraum-Nachmittag geben, aber vielleicht auch thematische Kurse, und das zusätzlich zu der mittlerweile projektbezogenen Arbeit. Treue und bewährte Helfer, wie der Geflüchtete Alpha, sind natürlich immer noch Teil des Teams und willkommene Freunde und Helfer. „Zufällig habe ich in der U-Bahn einen Geflüchteten getroffen, der vor einem Jahr oft dabei war, aber dann nicht mehr gekommen ist. Er hatte gleich richtig Lust wieder mitzuhelfen und war beim Umzug in die alte Färberei dabei“, erzählte Conor. „Wir haben eine Mini-Crew an Leuten, die immer wieder zurückkommen.“ Die positive Assoziation mit dem werkraum bleibt den Menschen, die dort waren, und das hinterlässt auch bei Markus, Conor und dem restlichen Team ein gutes Gefühl.
(c) Alle Bilder Conor Trawinski