Wissen woher das Essen auf dem eigenen Teller kommt und gleichzeitig Kleinbauern unterstützen. Wie das geht zeigen SolaWi und Co.
In den letzten zwei Jahren wurde auch der deutschen Bevölkerung klar: das Klima verändert sich und es hat direkte Auswirkungen auf uns. 2017 war die Apfelernte extrem schlecht, aber auch Erdbeeren und Co waren teurer. Ein Jahr später ist die Apfelernte in Deutschland super, aber es hat zu wenig geregnet und daher fällt das Wurzelgemüse kleiner aus und kostet mehr. Den Wetterbedingungen waren die Landwirte schon immer ausgesetzt, daran sind sie gewohnt. Die Konsumenten betrifft es oft nicht, solange er seine Ware noch günstig aus Spanien beziehen kann. Die klimatischen Veränderungen sorgen aber auch für höhere Preise. Und selten haben die Menschen so wenig Geld für Essen ausgegeben, wie heutzutage. Waren es einst 70 Prozent des Gehalts, sind es heute in Deutschland nur noch zehn Prozent. Waren die Landwirte einst die, die an der Spitze der Nahrungskette standen, sind sie jetzt ganz unten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eine neue Verordnung der EU und ein Kleinbetrieb kann dicht machen: Hygienevorschriften, Verpackung und Modernisierung. Das alles kostet Geld, das viele Kleinbauern nicht auftreiben können. Sie leben immer am Limit. Ihr einziger Vorteil ist, wenn ihnen das Land, das sie bewirtschaften, gehört.
Großbetriebe haben es da leichter neue Auflagen umzusetzen – die Masse macht’s. Doch es geht auch anders. Die Bauern haben kein Geld – die Städter schon. Und die wollen eben nicht mehr immer die billige Massenware. Sie wollen wissen, woher ihr Fleisch kommt, wie die Tiere aufgewachsen sind, wie der Bauer mit ihnen umgeht, aber genauso wollen sie manchmal auch mit anpacken, etwas für ihr Essen tun, die Arbeit nachfühlen und nicht nur konsumieren. Für diese Städter gibt es ganz unterschiedliche Modelle, wie sie wieder Teil des Entstehungsprozesses werden können. Sie heißen Solidarische Landwirtschaft, Foodfunding oder Genussgemeinschaft.
Solidarische Landwirtschaft
Die Solidarische Landwirtschaft, auch SolaWi genannt, findet immer mehr Zuspruch. Dabei geht es nicht nur darum, dem Landwirt seine Produkte abzukaufen, sondern den ganzen Hof zu unterstützen. Auch dann, wenn die Ernte einmal nicht so gut ausfällt – sich solidarisch zu zeigen, den Wert des Essen und die Arbeit dahinter wieder zu schätzen. Dafür schließt sich ein Landwirt mit einer Gruppe von Privathaushalten zusammen. Im Gegenzug für einen monatlichen- oder jährlichen Beitrag bekommen die Mitglieder ihren Essensanteil direkt vom Hof. Je nachdem helfen sie auch einige Tage im Jahr bei der Ernte, entscheiden mit, was angebaut wird, teilen sich die Aufgabe das Essen abzuholen und zu verteilen. Die finanzielle Sicherheit erlaubt es dem Bauern, besser zu wirtschaften. Er hat bereits zu Beginn der Saison eine feste Einnahmequelle, die er für die Saat und das Viehfutter ausgeben kann. So kann er eventuell auch etwas kreativer sein, neue Sachen ausprobieren oder auch etwas produzieren, dass in einem gewöhnlichen Landwirtschaftsbetrieb unrentabel wäre, wie beispielsweise alte Tierrassen halten oder eine kleine Menge an Brot backen.
Das eigentliche Konzept stammt aus Japan und wird dort bereits seit den 1960er Jahren umgesetzt. Ein Viertel der Japaner sind mittlerweile Teil einer solchen Teikei (deutsch: Partnerschaft). In den USA entwickelte sich 1985 unabhängig davon die Idee der Community-Supported Agriculture (CSA) und auch in der Schweiz gibt es das Konzept, das sich „Schlaraffengärten“ nennt. In Deutschland verbreitete sich die Idee der SolaWi nur sehr langsam. Mittlerweile ist sie aber angekommen. Seit 2011 gibt es den Trägerverein Solidarische Landwirtschaft e.V., ein Netzwerk für Bauernhöfe und Gärtnereien, aber auch interessierte Städter.
Ein Start-Up, das den Weg einer Solidarischen Landwirtschaft in Form einer Genossenschaft geht, ist das Kartoffelkombinat. 2012 haben die Gründer Simon Scholl und Daniel Überall ihre Idee in die Tat umgesetzt– und versorgen nun fast 1.000 Haushalte mit Obst, Gemüse und sogar Honig. Jedes Mitglied zahlt hier einmalig einen Beitrag von 150 Euro und anschließend 68 Euro monatlich für seinen Ernteanteil. Diesen gibt es dann an verschiedenen Verteilerpunkten in München abzuholen. Dabei war klar: Irgendwann soll die Genossenschaft eine eigene Gärtnerei oder einen Hof besitzen. Die Lebensmittel werden fair, ökologisch und nachhaltig produziert. Die Genossen können sich aktiv in Form der Mitgliederversammlung und Seminaren einbringen – müssen sie aber nicht.
Unter der Webseite ernte-teilen.org, kann jeder Interessent die passende Gemeinschaft in seiner Nähe finden.
Genussgemeinschaft
Auch bei der Genussgemeinschaft Städter und Bauer e.V. geht es darum, wieder eine Verbindung zwischen denen, die landwirtschaftliche Produkte produzieren, und denen, die sie konsumieren, zu schaffen. Der Verein ist aus einer Arbeitsgruppe des SlowFood e.V. entstanden. Hier hat man verschiedene Konzepte unter einen Hut gepackt. Der Verein selber macht viel Öffentlichkeitsarbeit, veranstaltet Infoabende und Seminare zu den verschiedenen Themen oder gibt Veranstaltungstipps wie Führungen auf beteiligten Höfen oder Imkerkurse. Die Umsetzung erfolgt dann in privaten Einkaufsgemeinschaften, finanzieller Beteiligung oder in einer Solidarischen Landwirtschaft.
Ein Grundproblem für kleine Bauern ist, dass sie im Vergleich zu den Großen bei staatlichen Förderungen benachteiligt werden. So werden Umbauten und Modernisierungen oft nur unterstützt, wenn das Ergebnis rentabel ist. Ändern sich beispielsweise die Hygienevorschriften, ist es für kleine Betriebe oft schwer, das Geld für die verlangten Umstrukturierungen aufzubringen. Die Lösung der Genussgemeinschaft? Eine finanzielle Beteiligung, ein Genussschein. Der Verbraucher kauft Anleihen, von mindestens 500 Euro, und bekommt jährlich fünf Prozent Zinsen in Form von Produkten ausgezahlt.
So auch beim Leitzachtaler Ziegenhof in Oberbayern von Werner Haase. Auch er sollte seinen 530 Jahre alten Hof den neuen Hygienevorschriften anpassen. Hätte er das alleine stemmen müssen, hätte sich die Ziegenhaltung nicht mehr gelohnt. Durch das Konzept gewann er neue Kunden und der Verbraucher weiß genau, woher sein Essen kommt. Wenn die dann auch noch persönlich vorbei kommen, um die Ware abzuholen und es nicht über einen dritten verkauft wird, kann der Bauer sich auch die Verkaufsmarge sparen. Etwas, das oft den Unterschied zwischen Überleben und Aufgeben ausmachen kann. Nach dem Ablauf einer gewissen Frist, kann der Genuss-Schein-Besitzer entscheiden, ob er das Geld ausgezahlt bekommen will, oder es dem Landwirt weiter leiht.
Foodfunding
Crowdfunding ist ein Konzept, das viel Anklang gefunden hat und für alle möglichen Projekte genutzt wird. Die Schwarmfinanzierung funktioniert für Startups, aber auch Privatleute, die sich eine Reise finanzieren wollen. Beim Essen finanziert die Crowd – die Masse – ihr Essen. Im Voraus. Dabei hat das viele verschiedene Vorteile: Landwirt und Käufer kommunizieren direkt und nicht über Dritte. Die Packungen sind größer – somit spart man sich Verpackung und Lieferkosten, was wiederum das Produkt günstiger macht. Einer der ersten, die dieses Konzept umgesetzt hat, ist Günther Faltin mit seinem Unternehmen Tee-Kampagne. Zu Beginn war es „nur“ ein Projekt an der Freien Universität Berlin, an der er Professor für Entrepreneurship war. Er wollte aber nicht nur die Theorie vermitteln, sondern praktisch zeigen, wie man seine Ideen umsetzen kann. In der Projektwerkstatt entstand so die Idee, Darjeeling-Tee in bester Qualität, in großen Packungen und ohne Zwischenhändler direkt an den Verbraucher zu bringen. Was als Universitätsprojekt begann, ist heute ein Unternehmen mit zweistelligen Millionenumsätzen, die aber auch in nachhaltige Projekte der Anbauregion in Indien teilweise zurückfließen.
Das Prinzip wird aber nicht nur für Tee angewendet, sondern mittlerweile auch von dem spanischen Familienbetrieb CitrusRicus für Orangebäume in Valencia oder Honig direkt vom Imker. Das Start-Up KaufneKuh.de hat es sogar geschafft, das Prinzip auf das Fleisch umzumünzen. Der Käufer kann Fleischpakete kaufen und erst wenn eine komplette Kuh verkauft ist, wird sie geschlachtet. Dabei kann sich der Käufer die Fleischart nicht aussuchen, sondern bekommt von allem etwas. So wird weniger weggeschmissen und die Kuh bestmöglich genutzt. Eine Plattform, die sich vor allem dem Foodfunding verschrieben hat, ist die Seite Erzeugerwelt.de, worüber auch die Orangen- und Mandarinenbaum-Patenschaften laufen. Sie soll auch als Plattform für Austausch untereinander dienen.
Und jetzt?
Und jetzt kann sich jeder entscheiden, ob er weiter im Supermarkt, im Bioladen oder bei einer dieser und noch vielen weiteren Projekten mitmacht. Schlussendlich muss sich der Verbraucher nämlich auch fragen, wie viel Zeit er investieren möchte, und natürlich, wie viel Geld. Einige Konzepte sind noch im Aufbau. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass viel Interesse besteht und die Community stetig wächst. Ein schöner Nebenaspekt aller Projekte: Es entsteht wieder ein Kontakt mit den realen Lebensmittelproduzenten – nicht mit der Kühltheke -, ein Miteinander und auch eine wiederkehrende Wertschätzung gegenüber der Arbeit in der Landwirtschaft. Da schmeckt das Essen doch gleich besser. Mahlzeit!
(c) Titelbild: Caroline Deidenbach