Mitforschen bei KlimNet – Stadt und Land im Fluss
Es ist erst Ende April, doch die Warnsignale sind bereits deutlich: Beinahe flächendeckend herrscht in Deutschland derzeit eine mehr oder minder schwere Dürre. Von Mitte März bis Mitte April fielen vielerorts weniger als zehn Liter Regen pro Quadratmeter, Wärme und Wind haben die oberen Bodenregionen ausgetrocknet. Dadurch wächst die Waldbrandgefahr, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen kam es bereits zu großen Einsätzen. Extreme Wetterereignisse sind auch in Deutschland längst keine Randphänomen mehr.
In Anbetracht dessen stellen sich auch Deutschland immer mehr Menschen die Frage: Wie können wir dem Klimawandel in unserer Stadt und unserer Region trotzen? Dazu haben die Ruhr-Universität Bochum (RUB), die Universität Bonn und der Wissenschaftsladen Bonn e.V. gemeinsam das Projekt KlimNet initiiert: Darin werden gemeinsam mit Bürger*innen Ideen und Strategien entwickelt, die Menschen zeigen, was sie tun können, um ihre Stadt an den Klimawandel anzupassen, bevor Jahrhunderthochwasser, Starkregen, langanhaltende Trockenheit oder Hitze bedrohlich werden.
Prof. Dr. Andreas Rienow von der Ruhr-Universität Bochum schildert den Vorgang der Versiegelung: „Die Versiegelung in NRW nimmt weiterhin zu, auch wenn sie in den letzten Jahren ein wenig abgeschwächt wurde. Besonders stark ist das zu sehen, wenn wir uns anschauen, wie viel in Innenstädten gebaut wird, also die Verdichtung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Flächen nach außen. Es ist ein großes Problem, in einer Zeit zu leben, in der eben die Folgen des Klimawandels immer stärker zu spüren sind: Wir hatten dieses Jahr wieder keinen richtigen Winter, wir hatten in den letzten zwei, drei Jahren extreme Hitzeereignisse hier in Deutschland. Entsprechend sind die Folgen zu spüren. Das ereignet sich in verschiedenen Städten, unterscheidet sich aber oft innerhalb verschiedener Stadtteile: Dabei gibt es im wahrsten Sinne des Wortes Hotspots in den Städten, in denen wir tropische Nächte beobachten, die zunehmen, aber natürlich auch Starkregenereignisse, die den Keller volllaufen lassen.“
Gemeinsame Handlungsleitlinien für die Klimaanpassung entwickeln
Das beschäftigt Menschen in ihrem Alltag und in der Wissenschaft. Deshalb hat das bürgerwissenschaftliche Projekt KlimNet das Ziel, Wissen und Engagement aus unterschiedlichen Bereichen, also sowohl aus der Gesellschaft als auch der Wissenschaft, in Bezug auf Klimawandelanpassung zu mobilisieren. Damit können Bürger*innen aus diversen Zielgruppen über Facetten des Klimawandels in der eigenen Heimat informiert und sensibilisiert werden. Die Teilnehmenden generieren daraus Handlungsoptionen zur Klimaanpassung. Das gelingt durch drei verschiedene Teilprojekte: Die Bereitstellung von Informationen über den Klimawandel in der Region, die Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten mit dem Ziel einer klimaresilienten Stadt und die Umsetzung erster praxisorientierter Maßnahmen.
KlimNet wird aktuell in den Pilotstädten Bonn und Gelsenkirchen mit der Option auf Erweiterung durchgeführt. Durch die wissenschaftliche Basis verbunden mit praktischen Erfahrungen der Akteur*innen vor Ort können die Maßnahmen auf andere Städte übertragen werden.
Zur Bereitstellung der Informationen wurden Satellitendaten von 1985 bis heute hinsichtlich diverser Aspekte wie Bodenbedeckung, Dichtheit, Versiegelung und Nutzung analysiert, um Veränderungen der städtischen Gebiete zu beobachten und zu quantifizieren. Daraus ist ein webbasiertes interaktives geographisches Informationssystem (GIS) hervorgegangen. Anhand von aus Satellitenbildern abgeleiteten Daten zur Flächenversiegelung aus den Jahren 1985 bis 2017 können Nutzer*innen in ganz Nordrhein-Westfalen die Landnutzungen vergleichen. Durch das interaktive Web-Geoinformationssystem (WebGIS) mit zahlreichen Funktionen können die Bürger*innen selbst lokal Orte in der Stadt identifizieren und markieren, die entweder Handlungsbedarf aufweisen oder als gute Beispiele vorangehen. Außerdem werden darauf basierend gemeinsam Ideen entwickelt, wie mit den spürbaren Auswirkungen des Klimawandels umgegangen werden kann.
Ziel ist dabei auch, Handlungsleitlinien zu entwickeln, die das Projekt überdauern. Der daraus hervorgegangene Aktionsplan spricht unterschiedliche, wichtige Akteur*innen der Stadtgestaltung an: Für einige Leitlinien brauchte es ein Votum der Politik und die Kompetenz der Stadtverwaltung, für andere engagierte Unternehmer*innen und Verbandsvertreter*innen. Für wiederum andere ist nur die Lust, etwas im eigenen Umfeld zu verändern, notwendig. Deshalb ist im Projekt KlimNet die Zusammenarbeit zwischen Bürger*innen, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft notwendige Voraussetzung. Langfristig werden dabei alle Teilnehmenden auch für den Klimawandel an sich sensibilisiert, was neben der lokalen Klimawandelanpassung auch ein stärkeres Engagement für den Klimaschutz hervorbringt.
Bürger*innen als Forschende
Besonders am Projekt KlimNet ist die Einbindung von Bürger*innen als Forschende. Im Allgemeinen wird in Citizen-Science-Projekten Forschung unter Mithilfe oder komplett von interessierten Amateur*innen, teilweise auch professionellen Amateur*innen, durchgeführt. Die Bürgerforscher*innen formulieren dabei Forschungsfragen, melden Beobachtungen, führen Messungen durch, werten Daten aus und/oder verfassen Publikationen. Dabei ist die Einhaltung wissenschaftlicher Kriterien Voraussetzung. Bürgerwissenschaftliche Projekte binden Laien in wissenschaftliche Prozesse ein, was einerseits zur Produktion wissenschaftlich valider Daten und Analysen beiträgt.
Andererseits wird der Bürgerwissenschaft aber vermehrt das Potential zugesprochen, das gesellschaftliche Verständnis für Wissenschaft und Forschung zu erhöhen und damit gesellschaftliche Herausforderungen aus Bürger*innensicht und aus der Perspektive der Wissenschaft neu bewerten zu können. Zudem wird von der Bürgerwissenschaft erwartet, dass sie einen positiven Einfluss auf die wissenschaftliche Bildung von Laien hat. Dies ermöglicht einerseits neue Erkenntnisse durch neue Kontexte, die Bürgerforscher*innen aus ihren Lebenswelten bringen, aber bei höherem Grad der Partizipation in bürgerwissenschaftlichen Projekten auch wissenschaftliche Projekte mit Fragestellungen, die gerade in regionalen oder lokalen Kontexten durch die Bedarfsgruppen selber ermittelt werden können.
Eine wissenschaftsoffene Haltung aus der Gesellschaft kann zu verstärktem Austausch und Wissensdiffusion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft führen, was Wissen in beiden Bereichen erweitern und damit Handlungsspielräume in demokratischen Diskursen verbessern kann.
Die eigene Umgebung neu entdecken
Genau um dieses Zusammenspiel geht es bei KlimNet, das die unterschiedlichen Erfahrungs- und Wertungsbereiche von Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Verwaltung mit einbezieht und damit Raum für gemeinsame, allgemein akzeptierte Lösungsvorschläge schafft.
Dafür ist auch ein hohes Maß an Eigeninitiative und Engagement seitens der Bürger*innen notwendig. Einer der Projektleiter erklärt, welche Menschen dabei mitmachen: „Einerseits sind das Bundesfreiwillige, die die Workshops als Seminarangebot wählen könnten. Diese waren besonders an den Geomethoden interessiert. Das Tolle daran ist, etwas so Pragmatisches mit einem idealistischen Thema, was die Klimaanapassung ist, zu koppeln und die jungen Menschen für Themen der Nachhaltigkeit zu begeistern. Eine andere Gruppe ist über Aufrufe des Wissenschaftsladen Bonn und der Stadt Gelsenkirchen gekommen: Jugendliche, die einfach Interesse an der Thematik haben, die teilweise auch aus „Problemvierteln“ kommen. Deren Interesse an Klimaanapassung war besonders beeindruckend, weil die ja wirklich oft auch noch ganz andere Probleme bis hin zu Existenzängsten haben. Weiter kommen natürlich auch immer Leute, die generell an Nachhaltigkeit, Umwelt und Entwicklungsthemen interessiert sind. Also generell sind das Menschen, die ihre Nachbarschaft nochmal mit anderen Augen entdecken wollen.“
Für die Bürgerwissenschaftler*innen sieht Rienow zusätzlich den Anreiz, dass sie durch die intensive Beschäftigung mit den Entwicklungen auch in Diskussionen besser auf Grundlage von Fakten argumentieren können. Außerdem tragen die Projekte zur Gemeinschaftsbildung bei und oft lernen sich durch die Vernetzung Akteur*innen kennen, die diese Kontakte noch längerfristig nutzen können. Für die Wissenschaftler*innen bietet die Zusammenarbeit wiederum die Möglichkeit, die Öffentlichkeit aktiv in die wissenschaftliche Entwicklung einzubinden und damit Verständnis und Akzeptanz zu fördern, sowie, ganz praktisch, mehr Datenmaterial zu generieren und damit größere Flächen zu beobachten.
Andreas Rienow unterstreicht besonders das Alltagswissen, das für das Projekt unverzichtbar ist: „Aus räumlicher Perspektive gesprochen, kennen die Menschen einfach ihre eigene Nachbarschaft am besten und wissen, wie es noch vor zehn Jahren aussah, wo vielleicht Ecken sind, an denen sich immer Pfützen bilden, wo eben eine grüne Fläche auf einmal versiegelt wurde und ein Spielplatz entstanden ist, der die einen stört, die anderen aber begeistert, aber auch, wo man die Möglichkeit hätte, doch eine Fläche zu nutzen, die eigentlich nur brachliegt. Dieses räumliche Wissen ist enorm hilfreich und das können wir als Geographen optimal nutzen.“
Das Projekt KlimNet findet noch bis Juni 2020 statt – eine Verlängerung wird aktuell beantragt.
Titelbild: Beispielfoto Luftansicht Standsted, London. (c) Nik Ramzi Nik Hassan