Zirkuläres Handeln darf nicht nur die Vermeidung von Umweltschäden bedeuten, sondern es sollte auch soziale Teilhabe gewährleisten
Gegenwärtige Wirtschaftsmuster folgen einer weitgehend linearen Logik: Ressourcen werden verarbeitet, aus ihnen werden Dinge hergestellt, die konsumiert und schließlich entsorgt werden. Aus diesem Wirtschaftsmodell entstehen umfassende Schäden: Klimawandel, Umweltverschmutzung und globale Ausbeutungslinien gehören mit dazu. Was passiert also, wenn Ressourcen nicht mehr als nutzbare und sich selbst erneuernde Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden?
Die Circular Economy setzt an diesem Punkt an: Produktion, Konsum und Verwertung der genutzten Produkte sollen einen Kreislauf bilden, aus dem möglichst wenig Schaden entsteht. Ein Großteil der eingespeisten Ressourcen wie Materialien und Energie sollen wiederverwendet und in weitere Kreisläufe eingespeist werden. Dabei spielen Praktiken wie Recycling, die langlebige Konstruktion von Produkten, Instandhaltung und Wiederverwendbarkeit eine zentrale Rolle. Etwa könnten bei einer Waschmaschine durch reparaturfreundliches Design nach ihrem Ableben noch funktionierende Teile wieder oder vielmehr weiter-verwendet werden. Ressourcen aus nicht mehr funktionierenden Teilen könnten in einem Recycling-Prozess extrahiert und die Rohstoffe beispielsweise als nächstes in einem Smartphone zum Einsatz kommen.
Allerdings kann die Circular Economy als implementiertes Wirtschaftsmodell tiefgehende Problematiken wie globale Ausbeutungsmechanismen nicht durchbrechen. So ist sie auch ein Instrument, weiterhin wirtschaftlichen Wachstum entkoppelt vom Verbrauch natürlicher Ressourcen zu ermöglichen. Das birgt unter anderem die Gefahr einer weitergehenden Machtkonzentration bei einigen wenigen, die dann neben Produktionsmechanismen auch die weitere Verwertung und Wiederverwendung von Ressourcen kontrollieren könnten. Zwar ermöglicht die Circular Economy die Minimierung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen sowie die Reduzierung umwelt- und gesundheitsgefährdender Schäden. Allerdings ist Linearität weiterhin tief in gesellschaftliche Regeln, Standards, Gesetze, Verhaltensmuster und Handlungsketten eingeschrieben. So werden gesellschaftliche Aspekte wie Teilhabe, globale soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität durch die bloße Umgestaltung des linearen zu einem zirkulären Wirtschaften hin nicht ausreichend angegangen.
Von der Circular Economy zur Circular Society
Um einen Wandel zu mehr gesellschaftlichen, zirkulär orientierten Denken und Handeln zu vollziehen, braucht es also mehr als das: So muss man sich zunächst fragen, was eigentlich Mittel und was eigentlich Zweck zirkulären Wirtschaftens ist. Letztlich ist es doch der Mensch, der das Wirtschaften als Mittel zur Umsetzung der eigenen Interessen nutzt und nicht umgekehrt. Circular Economy kann eben nur Mittel zum Zweck sein. Geht es also in erster Linie um jede*n Einzelne*n in der Gemeinschaft selbst, sollte zirkuläres Handeln auch gesamtgesellschaftlich gedacht werden. Zum Schluss kann es folglich nur eine Circular Society sein, an der sich menschliches Handeln orientiert. Wer die Minimierung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen vorantreiben will, muss sich also fragen, welcher gesellschaftliche Mehrwert dabei entsteht.
Keine Zweifel dürften darin bestehen, dass eine Gesellschaft die Summe ihrer Teile ist, nämlich die aus jeder und jedem einzelnen. Auch klar ist, dass jede*r einen gleichen Wert unter gleichen besitzt. Diese Gleichwertigkeit ist enorm wichtig, denn sie bedeutet Gleichberechtigung – eine zur gesellschaftlichen Teilhabe und Mitgestaltung. Spätestens jetzt wird klar, warum es nicht ausreicht, Zirkularität aus rein wirtschaftlicher Sicht zu betrachten und Gleichberechtigung in den Hintergrund zu rücken. Denn damit steigt die Gefahr, dass ein wirtschaftlicher Kreislauf zwar zirkulär und geschlossen, aber auch verschlossen ist – dass also einige von möglichen Wohlstand ausgeschlossen werden oder ihnen ihr Anspruch auf Selbstbestimmung verwehrt wird. Aber: Wie wird eine Gesellschaft zirkulär, was macht sie zu einer Circular Society?
Gleichberechtigung scheint die Gefahren eines falschen Verständnisses von Zirkularität zu zähmen und somit ein wesentliches Merkmal für eine Circular Society zu sein. Das heißt aber auch, dass in ihr partizipative Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden sein müssen, um mit deren Hilfe gemeinschaftlich an sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen zu erarbeiten. Das Social Design Lab der Hans Sauer Stiftung bedient sich für so eine kooperative Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse der Herangehensweise des Social Designs. Das bedeutet, dass Methoden und Praktiken aus dem Design (und auch anderer Disziplinen) konsequent zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen nutzbar gemacht werden. Im Verständnis und der Praxis des Labs heißt das, dass partizipativ, iterativ, ergebnisoffen und „bottom-up“ an Lösungen gearbeitet wird. Forschung, Praxisakteur*innen und die jeweils betroffenen Menschen werden zusammengebracht und es wird schrittweise und gemeinschaftlich an neuen Modellen, an Lösungen „von unten“ gearbeitet und diese werden dann praktisch auf ihre Wirkungen und Effekte hin erprobt.
Vom Wertstoffhof zum Mehrwerthof
Können beherrschende Muster des Ressourcenverbrauchs lokal verändert werden und wie kann kreislauforientierten Denken und Handeln mehr Raum und Relevanz verschafft werden? Wertstoffhöfe sind heutzutage zentrale Orte in dem Bestreben, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Hier werden nicht weiter genutzte Dinge und Stoffe gesammelt, sortiert und einer erneuten Verwertung zugeführt.
Manche Stoffe, wie Glas, Papier und viele Metalle können gut recycelt werden. Doch bei einigen Stoffgruppen wird die Linearität unseres Wirtschaftssystems offenkundig: Im Müll landen dann leicht zu reparierende, aber aus der Mode gekommene Sofagarnituren, Unterhaltungselektronik, die dem aktuellen Stand der Technik hinterherhinken oder Haushaltsgeräte, bei denen eine Reparatur nicht möglich oder zu teuer wäre. Für die Nutzer*innen endet hier dann oft der Kontakt zum Produkt. Die Frage, ob das entsorgte Produkt ganz oder in Teilen wiederverwendet, downgecyclet oder als Sondermüll behandelt werden muss, bleibt häufig unklar.
Die Chance, die entsorgten Produkte sinnvoll in eine Kreislaufnutzung zu überführen, ist oft bereits vertan – zu sehr ist ihr Design auf Obsoleszenz und Linearität ausgelegt. Aber die Wertstoffhöfe bieten eine andere Gelegenheit: Sie stellen einen Anknüpfpunkt dar, um zirkuläre Modelle mehr in der Gesellschaft unterzubringen. Das Social Design Lab der Hans Sauer Stiftung geht zusammen mit der IKEA Stiftung der Frage nach, inwiefern Wertstoffhöfe zu Ausgangspunkten eines veränderten, konsequent an der Schaffung von Kreisläufen orientierten Umgangs mit Ressourcen werden können. Beim Neubau eines Wertstoffhofs in Markt Schwaben bei München wird versucht, die dort praktizierten Muster des Wegwerfens zu durchbrechen und zu erweitern. Gemeinsam mit ansässigen Akteur*innen wird ein über die bisherige Funktionen und Praktiken eines Wertstoffhofs hinausgehender Ort entwickelt. Zusammen mit dem Markt Markt Schwaben, der anderwerk GmbH und anderen Partnern werden bei dem Projekt „Mehrwerthof Markt2 Schwaben” in einem partizipativen Ansatz Lösungen gesucht und Transformationswege erprobt.
In neuartigen Allianzen zwischen Kommunen, Sozialwirtschaft, Stiftung, Hochschulen und den Menschen vor Ort werden Pilotprojekte initiiert: Reparaturveranstaltungen, Tauschpartys und Prototyping von Stadtmöbeln aus recycelten Materialien. Dabei werden gesellschaftliche Veränderungs- und Innovationsprozesse angestoßen, die von den Menschen aktiv mitgestaltet und – so die Hoffnung – auch breit und nachhaltig getragen werden.