Integration, Inklusion und Kollaboration im Wohnen bieten das Potential, gesamtgesellschaftliche Herausforderungen anzugehen. Hier werden unterschiedliche Ansätze vorgestellt.
Im Wohnen kann man Heimat finden – gerade für benachteiligte Gruppen in unserer Gesellschaft Geflüchtete, Migrant*innen oder körperlich und geistig behinderte Menschen kann dabei die Wohnung als persönlicher Rückzugsraum, aber auch als Tor zu einer fürsorgenden Gemeinschaft enormen Halt geben. Im besten Fall wird dabei Wohnraum nicht nur bewohnt, sondern es wird darin gelebt.
Der Bedarf an würdigen, verfügbaren Wohnraum geht immer einher mit den gegenwärtigen Herausforderungen einer Region, Stadt oder Gesellschaft. Es gilt dabei, die Waage zwischen Kriterien wie Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und dem Anspruch, lebenswerten und ermöglichenden Wohnraum zu halten. Fragen, wie lebenswertes Wohnen zu gestalten ist und welche Kriterien uns für unsere Lebensqualität wichtig sind, müssen dabei immer wieder neu ausgehandelt werden.
Formen urbanen Lebens befinden sich in kontinuierlichem Wandel und bieten dabei das Potential, neue Angebote des Übergangs und der Inklusion zu machen: Angebote, die im Kontext der Zerteilung und Individualisierung in modernen Gesellschaften als neue Begegnungsorte des Übergangs fungieren können.
Ankommen und Verwurzeln – das ist auch für Wohnverhältnisse, die nur temporär bestehen sollen, von hoher Bedeutung. Für lebenswerten Wohnraum spielen Aspekte wie die Verteilung des Einkommens in Häusern und Vierteln, Bildungschancen und eine integrierte, zugängliche und erlebbare Umwelt eine entscheidende Rolle. Die Wohnung beeinflusst den Alltag der Bewohner*innen, deren individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und die Chance auf Sozialisation, Gesundheit und Wohlbefinden. Die Wohnung ist auch Ort und Medium von Selbstdarstellung und Selbstwertgefühl. Ob das erreicht wird, hängt unter anderem davon ab, in welchem Maße Intimität und Privatsphäre gewahrt werden können.
Gegenwärtige, gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie Integration, Inklusion, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit müssen auch im Bereich Wohnen berücksichtigt werden. Ein Zuhause will mehr als bloße Unterkunft und Behälter sein – es ist der Ausgangspunkt zu gesellschaftlicher Teilhabe. Dabei kann man neben der eigenen Wohnung oder dem privaten Zimmer auch in weiteren Räumen wohnen oder zuhause sein, so zum Beispiel in Gemeinschaftsräumen im Haus. Fördern kann das eine Anbindung und Einbindung der Wohnräume an die Umgebung und gute Anschlussmöglichkeiten. Um Inklusion und Integration schaffen zu können, muss Raum für flexible Nutzungstransformationen und sich ändernde Lebensentwürfe geschaffen werden. Dieser Bedarf kann Treiber von Innovationen in einem Prozess sein, der neue Fragen und Antworten finden muss.
Für funktionierende soziale Durchmischung muss Wohnraum in die Umgebung integriert werden
Bei der Studie „Wie brüchig ist unsere soziale Architektur?“ des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung wurde in den untersuchten Jahren von 2005-2014 ein Anstieg von Armutssegregation mit dem Bau von Sozialwohnungen festgestellt. Dies liegt daran, dass Sozialwohnungen hauptsächlich in Vierteln gebaut werden, in denen es schon viele Sozialwohnungen gibt – damit entstehen hohe Unterschiede in Einkommen, Lebensstil und Zugang zu Einrichtungen zwischen unterschiedlichen Vierteln. Für eine soziale Mischung und das Teilen von Ressourcen wäre es demnach sinnvoll, vermehrt Sozialwohnungen in Quartieren zu bauen, in denen man bis jetzt noch keine findet.
Soziale Durchmischung kann für viele, besonders für marginalisierte Gruppen, als Sozialkapital fungieren. Zum Beispiel kann der Austausch mit Nachbar*innen Informationen über einen vakanten Arbeitsplatz, über Know-How im Umgang mit Vermietern und Behörden liefern oder kann in verbesserten Artikulationsmöglichkeiten zum Ausdruck kommen. Für eine gelebte soziale Durchmischung reicht aber nicht nur die räumliche Nähe von unterschiedlichen Bewohner*innen einer Stadt. Dafür braucht es Situationen, die Kontakt ermöglichen und dazu ermuntern: Geteilte Einrichtungen wie Werkstätten, Kindergärten, Schulen und Projekte eröffnen gemeinsamen Raum.
Dafür muss der Raum erstmal gefunden werden, aber: Auch in dichten Städten gibt es Leerstand – warum nicht einfach bereits bestehenden Raum zum Wohnen nutzen und mit eigenen Ressourcen füllen? In dem gemeinschaftlichen Projekt Traudi/HAWI der Caritas Wien, der TU Wien, der TU Berlin und der Hans-Sauer-Stiftung wurde ein ehemaliges Bürogebäude nach mehrjährigem Leerstand in einem kollaborativen Prozess in ein gemischtes Wohnheim für Geflüchtete und Studierende transformiert. Die Bewohner*innen haben sich ganz nach dem Motto „Trau Di!“ getraut und bauten Schlaf- und Gemeinschaftsräume in Zusammenarbeit mit Architekt*innen selber, was mit jedem zusätzlich angebrachten Brett Identifikation und Ankommen an dem neuen Ort erleichterten. Grundgedanke war dabei, dass sowohl Geflüchtete als auch Studierende, die neu in der Stadt Wien waren, Schwierigkeiten hatten, eine bezahlbare Wohnmöglichkeit und Anschluss in der Stadt zu finden. Das Wohnprojekt Traudi/ HAWI fungiert so als gebauter Vorschlag, wie durch Architektur gesellschaftspolitische Impulse gesetzt werden können.
Freiräume lassen sich finden
In Deutschland entstehen immer noch neue Wohnungsbaugenossenschaften – eine Wohnform mit einer mehr als 100-jährigen Tradition. Damit entkoppeln die Bewohner*innen die Gebäude aus dem Immobilienmarkt und schaffen so Wohnraum mit stabilen Mietpreisen. Außerdem können die Bewohner bei allem, was das Zusammenleben und die eigene Wohnung betrifft, direkt mitentscheiden. Teure, aber nachhaltige Anschaffungen können gemeinsam finanziert und genutzt werden und durch das Teilen einiger Räumlichkeiten wie Werkstätten oder Küchen vergrößert sich für jeden einzelnen der Wohnraum. Dieses gemeinsame Nutzen eröffnet Austausch unter Generationen, Kulturen und Lebensstilen und kann Menschen dabei helfen, sich als mündiger Teil einer Gesellschaft zu fühlen. . Damit entkoppeln die Vereine Häuser und damit Wohnraum aus dem allgemeinen Profitdruck. Einer profitorientieren Ausrichtung von Stadt, die sich nicht mit den Bedürfnissen deren Bewohner*innen deckt, wird so etwas entgegensetzt.
München, Glockenbachviertel: Tagescafés, Luxuswohnungen, ehemaliger Hotspot der Münchner Schwulen- und Lesbenszene. Mitten in der Stadt zwischen Bowl-Bars und schicken Fassaden hat eine Sozialgenossenschaft das Bellevue di Monaco als Unterbringungs- und Kulturzentrum für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge und interessierte Münchner gegründet. Die Organisationsform der offiziell eingetragenen Genossenschaft ermöglichte die Renovierung und das für den Umbau nötige Grundkapital durch Mitgliedereinlagen. Der Umbau des renovierungsbedürftigen Gebäude wurde dabei öffentlichkeitswirksam inszeniert und zu einem großen Teil von Ehrenamtlichen und Künstler*innen getragen. Gerade dadurch wurde Aufmerksamkeit auf die vormals leerstehenden Gebäude, die zentral in der Stadt liegen, gelenkt. Damit wurden die Bauten für alle zugänglich und ein wichtiger Ort für Diskussion, Information und kulturelles Angebot. Bürgerinitiative hat hier gewirkt – daraus ist staatlich subventionierte und alternative Stadtentwicklung geworden. Die lokale Bürgerbewegung konnte so den gesamten Gebäudekomplex vor dem Abriss und Verkauf an höchst-bietende Privatinvestoren retten und langfristig zur Nutzung für soziale Zwecke zur Verfügung stellen.
Inklusion und Integration im Wohnen kann gesellschaftliche Mitbestimmung fördern
Werte- und Identitätskonflikte bestimmen Diskurse in unserer Gesellschaft und dennoch wird die Welt vor unseren Augen größer und dichter. Wohnraum gemeinsam gestalten hat das Potential, uns aktiv in unser Umfeld einzubringen, gegenwärtige Herausforderungen anzugehen und einander solidarisch und hilfsbereit zu begegnen und somit aus einer Tätigkeit, die wir alle in unterschiedlichsten Formen teilen – dem Wohnen – den Weg hin zu einer aufmerksamen, fairen Gesellschaft ebnen.
Inklusion im Wohnen kann dabei ganz unterschiedliche Grade und Formen von Benachteiligung wie Behinderung, Herkunft und Armut berücksichtigen. Auch Menschen mit diesen Benachteiligungen haben das Recht, darüber mitzubestimmen, wo, wie und mit wem sie wohnen – das wird ihnen aber oft abgesprochen, indem man sie lediglich unterbringt. Andererseits ergeben sich aus den unterschiedlichen Graden von Benachteiligungen auch unterschiedliche Bedarfe, denen gerecht werden muss. Dabei gibt es schon eine Vielzahl inklusiver WGs, die gleichzeitig neue, eigenständigere Betreuungs- und Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum für Menschen ohne Behinderung schaffen. Das Wiener Wohnprojekt VinziRast-mittendrin bietet ebenso Raum für unterschiedliche Bedarfsgruppen: Dort leben Student*innen und ehemalige Obdachlose in günstigen Wohngemeinschaften zusammen. Entstanden ist das Projekt aus einem Studierendenprotest im Wiener Audimax 2009, bei denen sich auch Obdachlose anschlossen. So entstand ein Miteinander, das einige der Student*innen weitertragen wollten – und die Initiative für ein gemeinsames Wohnprojekt starteten. Die gemeinnützige Vinzenzgemeinschaft stellt den Hausbewohner*innen zusätzlich bei Konflikten eine geschulte Ansprechperson zur Seite.
Das Zusammenleben verschiedener sozialer Gruppen bringt sozial-kulturelle Dynamik und Austausch. Trotz aller dieser Vorteile und der Schönheit von Begegnungen, die aufzeigen, dass neben der eigenen Lebenswelt unzählige andere existieren – Wohnraum teilen bietet Konfliktpotential und ist oft unglaublich anstrengend. Außerdem ist immer darauf zu achten, dass gerade innovative Wohnprojekte auch nach außen wirken und mit ihrer Umgebung interagieren – sonst werden auch diese schnell zu Gated Communities, die wiederum Isolierung und Ausgrenzung befeuern können. Diese Konflikte auszutragen und versuchen, damit zu arbeiten, kann längerfristig zu einer positiven Debattenkultur und einer offeneren, experimentierfreudigen Gesellschaft beitragen. Denn indem wir immer wieder überlegen, wie wir leben wollen, können gesellschaftliche und soziale Hierarchien und manifestierte Ungerechtigkeiten aufgebrochen werden.